Otto Schmidt Verlag

BGH 21.7.2010, XII ZB 135/09

Keine Informationspflicht trotz Verfahrenskenntnis bei nicht ordnungsgemäßer Zustellung

Durch die Verkündung eines Beschlusses (hier: in einem Verfahren über die elterliche Sorge) wird der Beginn der Beschwerdefrist nach fünf Monaten grundsätzlich dann nicht ausgelöst, wenn der beschwerte Beteiligte zum Termin zur mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen wurde. Eine darüber hinausgehende Informationspflicht des beschwerten Beteiligten, der von dem Verfahren Kenntnis erlangt hat, scheidet jedenfalls dann aus, wenn ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde und er sich nicht eingelassen hat.

Der Sachverhalt:
Die mittlerweile geschiedenen Eltern hatten 2004 geheiratet und lebten mit ihrem heute vierjährigen Kind in Großbritannien. Der Vater ist Algerier, die Mutter ist Deutsche. Nachdem die Mutter im Juli 2006 die Scheidung eingereicht hatte, verließ sie im August 2006 den Vater und zog mit dem Kind nach Süddeutschland. Im September 2006 beantragte sie beim AG die Übertragung der elterlichen Sorge sowie eine einstweilige Anordnung bezogen auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht.

Die Antragsschriften wurden den von der Mutter benannten britischen Rechtsanwälten des Vaters formlos übersandt. Die vom AG erlassene einstweilige Anordnung konnte den Rechtsanwälten des Vaters allerdings nicht förmlich zugestellt werden, weil diese das Mandat niedergelegt hatten. Daraufhin bewilligte das AG die öffentliche Zustellung der einstweiligen Anordnung sowie der Antragsschrift in der Hauptsache und bestimmte zugleich einen Termin zur mündlichen Verhandlung. Im Anschluss daran verkündete das AG einen dem Antrag der Mutter entsprechenden Beschluss und stellte diesen dem Vater wiederum öffentlich zu.

Zwei Jahre später ließ der Vater durch seine neuen Verfahrensbevollmächtigten Akteneinsicht nehmen und legte sodann Beschwerde ein. Der Vater berief sich darauf, dass die Beschwerdefrist mangels ordnungsgemäßer Zustellung nicht zu laufen begonnen habe. Das OLG verwarf die Beschwerde. Auf die Rechtsbeschwerde des Vaters hob der BGH den Beschluss auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des OLG war die Beschwerdefrist nicht in Gang gesetzt worden und war somit bei Einlegung der Beschwerde nicht abgelaufen.

Durch die Verkündung eines Beschlusses wird der Beginn der Beschwerdefrist nach fünf Monaten grundsätzlich dann nicht ausgelöst, wenn der beschwerte Beteiligte zum Termin zur mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen wurde. Im vorliegenden Fall war dem Vater als Verfahrensbeteiligter das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht zugestellt worden. Infolgedessen musste er sich nicht auf das Verfahren einlassen. Das entspricht auch der Rechtslage bei der Anerkennung ausländischer Titel gem. § 16 a Nr. 2 FGG a.F. (ebenso § 328 Nr. 2 ZPO und § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG), welche ausscheidet, wenn einem Beteiligten das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde und er sich zur Hauptsache nicht geäußert hat.

Der vom OLG vertretenen weitergehenden Auffassung, dass auch die ohne Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks erlangte Kenntnis eine Informationslast begründe, konnte nicht gefolgt werden. Eine solche Informationspflicht scheidet jedenfalls dann aus, wenn dem beschwerten Beteiligten das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde und er sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat. Denn diese Pflicht würde die Befugnis des Beteiligten, sich auf das Verfahren nicht einzulassen, in ihr Gegenteil verkehren.

Hinzu kam, dass die Schriftstücke dem Vater auf Deutsch übermittelt wurden und dass bei Übersendung der Antragsabschriften auch eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO noch nicht bestanden haben dürfte. In Anbetracht des fehlenden Einverständnisses des Vaters dürfte durch den Umzug der Mutter mit dem Kind und den zwischenzeitlichen Aufenthalt in Deutschland zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Vaters von dem Verfahren ein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes in Deutschland noch nicht ohne Weiteres begründet gewesen sein. Auch wenn die internationale Zuständigkeit inzwischen gelten dürfte, war dieser Umstand nicht geeignet, nachträglich die vom OLG angenommene Informationslast zu begründen.

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    Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.10.2010 14:07
    Quelle: BGH online

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