Otto Schmidt Verlag

BVerfG 25.1.2011, 1 BvR 918/10

BVerfG kippt BGH-Rechtsprechung zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts unter Anwendung der sog. Dreiteilungsmethode

Die zur Auslegung des § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB entwickelte Rechtsprechung zu den "wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen" unter Anwendung der Berechnungsmethode der sog. Dreiteilung löst sich von dem Konzept des Gesetzgebers zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts und ersetzt es durch ein eigenes Modell. Mit diesem Systemwechsel überschreitet sie die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und verletzt Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).

Hintergrund:
Mit dem am 1.1.2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts hat der Gesetzgeber das Unterhaltsrecht reformiert. Unverändert geblieben ist dabei jedoch neben der Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen die Regelung des Maßes des nachehelich zu gewährenden Unterhalts, das sich gem. § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmt. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH waren für die Bestimmung der ehelichen Lebensverhältnisse grundsätzlich die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung maßgeblich. Danach eintretende Veränderungen der Verhältnisse wurden nur ausnahmsweise in die Unterhaltsbedarfsbestimmung einbezogen.

Nunmehr geht der BGH aber davon aus, dass die für die Höhe des Unterhaltsbedarfs maßgeblichen Lebensverhältnisse einer geschiedenen Ehe Veränderungen unabhängig davon erfahren können, ob diese in der Ehe angelegt waren. Mit Urteil vom 30.7.2008 (XII ZR 177/06) hat er erstmals eine Unterhaltspflicht gegenüber einem neuen Ehepartner in die Bemessung des Bedarfs des vorangegangenen, geschiedenen Ehegatten einbezogen: Der Unterhaltsbedarf des geschiedenen Ehegatten sei zu ermitteln, indem seine bereinigten Einkünfte ebenso wie diejenigen des Unterhaltspflichtigen und dessen neuen Ehepartners zusammengefasst und durch drei geteilt würden (sog. Dreiteilungsmethode). Mittels einer Kontrollrechnung sei sodann sicherzustellen, dass der geschiedene Ehegatte maximal in der Höhe Unterhalt erhalte, die sich ergäbe, wenn der Unterhaltspflichtige nicht erneut geheiratet hätte.

Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführerin, die 24 Jahre mit dem Kläger des Ausgangsverfahrens verheiratet war, wurde zunächst im Zuge der Scheidung ein nachehelicher Aufstockungsunterhalt von 618 € mtl. zuerkannt. Nach der Wiederheirat des Klägers setzte das AG im Ausgangsverfahren in Anwendung der neuen Rechtsprechung des BGH den mtl. zu zahlenden Unterhalt auf 488 € herab, indem es die Einkünfte der nachfolgenden Ehefrau im Wege der Dreiteilungsmethode in die Bedarfsberechnung einbezog. Das OLG hielt das Urteil hinsichtlich der Unterhaltsbemessung aufrecht.

Auf die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin, mit der sie insbes. eine Verletzung ihres Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit rügt, hob das BVerfG das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Die zur Auslegung des § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB entwickelte Rechtsprechung des BGH zu den "wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen" unter Anwendung der Berechnungsmethode der sog. Dreiteilung löst sich von dem Konzept des Gesetzgebers zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts und ersetzt es durch ein eigenes Modell. Mit diesem Systemwechsel überschreitet die neue Rechtsprechung die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und verletzt die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).

Das Konzept des Gesetzgebers zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts differenziert zwischen der Unterhaltsbedürftigkeit des Berechtigten, dessen Unterhaltsbedarf, der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen sowie der Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter. An dieser Strukturierung hat der Gesetzgeber anlässlich der Unterhaltsreform festgehalten. Dies gilt ebenso für die Ausrichtung des Unterhaltsmaßes an den ehelichen Lebensverhältnissen gem. § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB, mit der der Gesetzgeber auf die individuellen Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten Bezug genommen hat, die er nach wie vor zum Zeitpunkt der Scheidung bestimmt wissen will.

Über dieses beibehaltene Konzept setzt sich die neue Rechtsprechung des BGH hinweg, indem sie einen Systemwechsel vornimmt, bei dem sie die gesetzgeberische Grundentscheidung zur Bestimmung des Unterhaltsbedarfs durch eigene Gerechtigkeitsvorstellungen ersetzt. Die geänderte Auslegung hebt die gesetzliche Differenzierung zwischen Unterhaltsbedarf und Leistungsfähigkeit auf. Sie berücksichtigt die nachehelich entstandenen Unterhaltspflichten gegenüber einem weiteren Ehegatten bereits auf der Ebene des Bedarfs des geschiedenen Ehegatten (§ 1578 Abs. 1 S. 1 BGB), obwohl deren Berücksichtigung gesetzlich erst auf der Ebene der nach den gegenwärtigen Verhältnissen des Unterhaltspflichtigen zu beurteilenden Leistungsfähigkeit nach § 1581 BGB vorgesehen ist.

Zudem bezieht die neue Rechtsprechung den Unterhaltsbedarf des nachfolgenden Ehegatten nur so lange in die Bestimmung des Unterhaltsbedarfs des geschiedenen Ehegatten mit ein, wie dies zu einer Verkürzung des Bedarfs des geschiedenen Ehegatten führt. Wirkt sich die Dreiteilungsmethode zugunsten des geschiedenen Ehegatten aus, wird sein Unterhaltsbedarf mittels der vom BGH vorgesehenen Kontrollrechnung auf den sich nach seinen ehelichen Lebensverhältnissen ergebenden Betrag herabbemessen. Konsequenz dieser Rechtsprechung ist, dass der geschiedene Ehegatte infolge der neuen Bedarfsermittlungsmethode regelmäßig weniger, selten dasselbe, nie aber mehr erhält als im Wege einer nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmten Berechnung.

Die neue Rechtsprechung lässt sich mit keiner der anerkannten Auslegungsmethoden rechtfertigen. Sie läuft dem klaren Wortlaut des § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB zuwider, der die "ehelichen Verhältnisse" zum Maßstab der Bedarfsbemessung erhoben hat und damit diejenigen Verhältnisse, die in der geschiedenen Ehe bestanden haben oder zumindest mit ihr in Zusammenhang stehen. Ein Bezug zu den "ehelichen Lebensverhältnissen" lässt sich jedoch nicht mehr bei der Einbeziehung von Veränderungen herstellen, die gerade nicht auf die Ehe zurückzuführen sind, sondern - wie Unterhaltspflichten gegenüber einem neuen Ehegatten - scheidungsbedingt sind.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.02.2011 11:45
Quelle: BVerfG PM Nr. 13 vom 11.2.2011

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