Otto Schmidt Verlag

BGH 26.10.2011, XII ZR 162/09

Zur sekundären Darlegungslast des Unterhaltsberechtigten hinsichtlich ehebedingter Nachteile

Die sog. sekundäre Darlegungslast bestimmt, dass der Unterhaltsberechtigte die Behauptung, es seien keine ehebedingten Nachteile entstanden, substanziiert bestreiten und seinerseits darlegen muss, welche konkreten ehebedingten Nachteile entstanden sein sollen. Erst wenn das Vorbringen des Unterhaltsberechtigten diesen Anforderungen genügt, müssen die vorgetragenen ehebedingten Nachteile vom Unterhaltspflichtigen widerlegt werden.

Der Sachverhalt:
Der heute 57-jährige Kläger und die 54-jährige Beklagte hatten 1977 geheiratet. Aus der Ehe sind drei inzwischen volljährige Kinder hervorgegangen, von denen sich der jüngste Sohn noch in der Berufsausbildung befindet. Die Parteien sind seit 1999 rechtskräftig geschieden. Der Kläger ist Tischlermeister und war lange Zeit als Gesellschafter-Geschäftsführer an einer GmbH beteiligt. Seit Januar 2008 leidet er an einer depressiven Störung und bezieht seit Dezember 2008 eine - befristete - Rente wegen voller Erwerbsminderung. Als Geschäftsführer der GmbH ist er inzwischen abberufen, das Anstellungsverhältnis wurde gekündigt.

Die Beklagte ist gelernte Damenschneiderin und war bis zur Geburt des ersten Kindes im Jahr 1978 in einer Musterschneiderei tätig. Während der Ehe betreute sie im Wesentlichen die drei Kinder und versorgte den Haushalt. Seit Oktober 1999 geht die Beklagte einer Teilzeitbeschäftigung in einem Bekleidungsunternehmen nach, war aber wegen einer im Jahr 2004 eingetretenen Krebserkrankung wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. Nach mehreren Operationen sind gesundheitliche Einschränkungen mit einer Schwerbehinderung von 50% verblieben. Mit einer Arbeitszeit von 30 Wochenstunden erzielt sie ein monatliches Bruttoeinkommen von rund 1.600 €.

Im Scheidungsverfahren schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sich der Kläger zur Zahlung eines nachehelichen Unterhalts von monatlich 266 € verpflichtete. Der Betrag wurde im Jahr 2005 gerichtlich auf 357 € erhöht. Im vorliegenden Verfahren begehrte der Kläger die Reduzierung und Befristung des Unterhalts. Er berief sich auf sein vor allem krankheitsbedingt verringertes Einkommen und auf eine nach geänderter Rechtslage seit Januar 2008 verstärkte eigene Unterhaltsverantwortung der Beklagten. Infolgedessen stritten die Parteien vor allem um das Bestehen ehebedingter Nachteile auf Seiten der Beklagten.

Das AG hat den Unterhalt für November 2008 bis einschließlich April 2009 herabgesetzt; das OLG hat ihn - u.a. gem. § 1578 b Abs. 1 BGB - weiter auf 150 € ab Januar 2011 herabgesetzt, wies aber wie das AG eine Befristung ab. Auf die Revision des Klägers, mit der er sein Befristungsbegehren zum 31.12.2008 weiterverfolgte, hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Auf der Grundlage des bisherigen Vortrags der Beklagten durfte das Berufungsgericht nicht vom - nicht widerlegten - Bestehen ehebedingter Nachteile ausgehen. Im weiteren Verfahren muss es der Beklagten für die erneut anzustellende Billigkeitsabwägung Gelegenheit zu weiterem Vortrag geben, um etwaige ehebedingte Nachteile begründen zu können.

In die Darlegungs- und Beweislast des Unterhaltspflichtigen fällt zwar auch der Umstand, dass dem Unterhaltsberechtigten keine ehebedingten Nachteile i.S.d. § 1578 b BGB entstanden sind. Entsprechend der - nach Erlass des Berufungsurteils - weiterentwickelten BGH-Rechtsprechung trifft den Unterhaltsberechtigten zum Beweis negativer Tatsachen allerdings eine sog. sekundäre Darlegungslast. Diese hat zum Inhalt, dass der Unterhaltsberechtigte die Behauptung, es seien keine ehebedingten Nachteile entstanden, substanziiert bestreiten und seinerseits darlegen muss, welche konkreten ehebedingten Nachteile entstanden sein sollen. Erst wenn das Vorbringen des Unterhaltsberechtigten diesen Anforderungen genügt, müssen die vorgetragenen ehebedingten Nachteile vom Unterhaltspflichtigen widerlegt werden.

Der Senat verkennt nicht, dass hierzu regelmäßig eine hypothetische Betrachtung angestellt werden muss und diese gerade dann auf unsicherer Tatsachengrundlage steht, wenn der Unterhaltsberechtigte bei Eheschließung noch am Beginn seiner beruflichen Entwicklung stand und die Ehe lange gedauert hat. Diesbezügliche Schwierigkeiten sind aber im Rahmen der an die sekundäre Darlegungslast zu stellenden Anforderungen zu bewältigen, welche nicht überspannt werden dürfen.

Mit ihrem vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Sachvortrag hatte die Beklagte jedoch nicht ausreichend dargelegt, worin ein ehebedingter Nachteil liegen soll. Falls die Beklagte außerhalb ihres jetzigen Tätigkeitsfelds nur als ungelernte Kraft vermittelbar wäre und dann kein höheres Einkommen erzielen könnte, fehlt es an einer Begründung, dass ihre heutige Arbeitsstelle ihr nicht das Einkommensniveau bietet, das sie ohne die eheliche Rollenverteilung erzielen könnte. Dass sie nur mit 30 Wochenstunden und nicht vollschichtig arbeitet, ist nach den Feststellungen des OLG damit begründet, dass ihr wegen der fortbestehenden gesundheitlichen Einschränkungen eine Ausdehnung ihrer Erwerbstätigkeit nicht zumutbar sei. Die gesundheitlichen Einschränkungen sind aber vom Berufungsgericht als ehebedingter Nachteil zutreffend ausgeschlossen worden.

Linkhinweis:

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 01.12.2011 14:59
Quelle: BGH online

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