Otto Schmidt Verlag

BGH 2.11.2011, XII ZB 317/11

Rechtsanwälte müssen bei Vorlage der Handakte zwecks Wahrung der Beschwerdefrist auch Notierung der Begründungsfrist prüfen

Zwar ist ein Rechtsanwalt nicht verpflichtet, eine Akte in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Vorlage darauf zu überprüfen, ob eine Frist eingetragen war und deren Ablauf bevorstand. Wird ihm allerdings die Handakte zwecks Wahrung der Beschwerdefrist vorgelegt, muss er stets auch die korrekte Notierung der Begründungsfrist prüfen.

Der Sachverhalt:
Der dem Antrag des Antragstellers in einer Familiensache teilweise stattgebende Beschluss des AG war den Antragsgegnerinnen am 23.2.2011 zugestellt worden. Am 21.3.2011 legten sie hiergegen Beschwerde ein. Am 16.5.2011 beantragten sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist und begründeten die Beschwerde.

Danach habe im vorliegenden Fall die mit der Eintragung und Kontrolle der Fristen betraute Büroangestellte versehentlich nur die Vorfrist notiert, was dazu geführt habe, dass die Verfahrensbevollmächtigte die Akte bei Ablauf der Vorfrist ohne den sonst üblichen Fristvermerk zusammen mit den normalen Vorlagen erhalten habe. Am Tag des Fristablaufs sei die Verfahrensbevollmächtigte deshalb auch nicht erinnert worden. Die Fristversäumnis sei erst am 4.5.2011 aufgefallen, als der entsprechende Hinweis des Beschwerdegerichts eingegangen sei.

Das OLG verwarf die Beschwerde als unzulässig und versagte die begehrte Wiedereinsetzung. Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerinnen blieb vor dem BGH erfolglos.

Die Gründe:
Die Antragsgegnerinnen hatten die Begründungsfrist nicht unverschuldet versäumt. Ihre Verfahrensbevollmächtigte traf an der Fristversäumnis ein Verschulden, das die Antragsgegnerinnen sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssen.

Zwar war die Verfahrensbevollmächtigte nicht verpflichtet, die Akte in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Vorlage darauf zu überprüfen, ob eine Frist eingetragen war und deren Ablauf bevorstand. Dies würde die an die Sorgfalt des Anwalts zu stellenden Anforderungen überspannen. Allerdings folgt daraus nicht, dass der Anwalt die Akte ohne zeitliche Einschränkung unbeachtet bei seinem Zutrag liegen lassen darf. Denn die Sorgfalt eines Rechtsanwalts erfordert es, sich auch in Sachen, die ihm als nicht fristgebunden vorgelegt werden, in angemessener Zeit durch einen Blick in die Akten wenigstens davon zu überzeugen, um was es sich handelt und wie lange er sich mit der Bearbeitung Zeit lassen kann. Auch in solchen Fällen darf der Anwalt die ihm vorgelegten Akten jedenfalls nicht eine Woche lang gänzlich unbeachtet lassen.

Ob die Verfahrensbevollmächtigte hier bereits nach diesen Maßstäben ein Verschulden an der Fristversäumnis traf, obwohl in den betreffenden Zeitraum zwei Feiertage fielen, konnte indessen dahinstehen. Schließlich muss ein Rechtsanwalt nach ständiger BGH-Rechtsprechung den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden. In solchen Fällen muss der Rechtsanwalt stets auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen. Für die Beschwerdebegründungsfrist nach § 117 Abs. 1 S. 3 FamFG ist ihm dies bei der Fristvorlage zur Wahrung der Beschwerdefrist möglich.

Wäre die Verfahrensbevollmächtigte im vorliegenden Fall dieser Verpflichtung nachgekommen, hätte sie bei Fertigung der Beschwerdeschrift vom 21.3.2011 ohne Weiteres feststellen können, dass auf dem Vorblatt der Handakte eine Rechtsmittelbegründungsfrist nicht vermerkt war. Dies hätte der Verfahrensbevollmächtigten Anlass zu einer Überprüfung der Notierung im Fristenkalender geben müssen, durch die das Versäumnis der Büroangestellten unschwer festzustellen und zu korrigieren gewesen wäre. In diesem Fall hätte die Beschwerdebegründungsfrist gewahrt werden können.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 05.12.2011 11:37
Quelle: BGH online

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