Otto Schmidt Verlag

EGMR 22.3.2012, Beschwerde-Nr. 45071/09 u.a.

Abweisung von Klagen mutmaßlich leiblicher Väter zur Anfechtung der Vaterschaft nicht konventionswidrig

Zwar können die Mitgliedstaaten nach Art. 8 EMRK dazu verpflichtet sein, zu prüfen, ob es im Kindeswohlinteresse liegt, dem leiblichen Vater die Möglichkeit zu geben, eine Beziehung zu seinem Kind aufzubauen, etwa durch Gewährung des Umgangsrechts. Daraus folgt aber nicht notwendigerweise eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach der Konvention, biologischen Vätern die Möglichkeit einzuräumen, den Status des rechtlichen Vaters anzufechten.

Der Sachverhalt:

+++ Beschwerde-Nr. 45071/09 +++
Beide Beschwerdeführer sind deutsche Staatsangehörige. Der Beschwerdeführer zu 1) ging davon aus, Vater einer im August 2005 geborenen Tochter zu sein, mit deren Mutter er eine Beziehung gehabt hatte. Zur Zeit der Empfängnis lebte diese aber mit einem anderen Mann (M.) zusammen, der die Vaterschaft für das Kind anerkannte. Das Paar hat das gemeinsame Sorgerecht und kümmert sich gemeinsam um das Kind. Im Oktober 2005 erhob der Beschwerdeführer zu 1) Klage wegen Anfechtung der Vaterschaft des M. Dieser machte geltend, er übernehme die volle elterliche Verantwortung für das Kind, selbst wenn er nicht der leibliche Vater sei.

Das AG stellte fest, dass Beschwerdeführer zu 1) leiblicher Vater des Kindes sei. Das Gericht berücksichtigte ein Sachverständigengutachten sowie das Ergebnis eines Bluttests, der seine biologische Vaterschaft nachwies, und kam zu der Ansicht, dass er nicht an der Anfechtung der Vaterschaft des M. gehindert sei. Das KG hob das Urteil auf und befand, dass der Beschwerdeführer zu 1) kein Recht habe, die Vaterschaft anzufechten, da zwischen M. und dem Kind eine sozial-familiäre Bindung bestehe, die andauere, obwohl erwiesen sei, dass M. nicht der leibliche Vater sei. Das BVerfG lehnte es ab, die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen.

+++ Beschwerde-Nr. 23338/09 +++
Der Beschwerdeführer zu 2) ging davon aus, Vater der im März 2005 geborenen Tochter seiner ehemaligen Ehefrau zu sein. Diese lebt mit einem neuen Partner (P.) zusammen, der die Vaterschaft für das Kind anerkannte. Später bekam das Paar zwei weitere Kinder und heiratete. Der Beschwerdeführer zu 2)  teilte seiner Ex-Gattin mit, dass er Umgang mit dem Kind wünsche und beabsichtige, die Vaterschaft anzuerkennen.

Das AG wies die Klage auf Feststellung seiner Vaterschaft und Anfechtung der Vaterschaft des P. ab. Das Gericht befand, dass der Beschwerdeführer zu 2) von der Vaterschaftsanfechtung ausgeschlossen sei, weil eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater P. bestehe. Da das Kind einen rechtlichen Vater habe, habe der Beschwerdeführer zu 2) auch kein Recht auf Feststellung seiner Vaterschaft durch einen Gentest. Berufung und Verfassungsbeschwerde blieben erfolglos.

Beide Beschwerdeführer rügten unter Berufung auf Art. 8 EMRK für sich genommen und i.V.m. Art. 14 EMRK die Entscheidungen der deutschen Gerichte, ihre Klagen zur Anfechtung der Vaterschaft zurückzuweisen, und machten geltend, dass sie im Verhältnis zur Mutter, zum rechtlichen Vater und zum Kind diskriminiert würden.

Das EGMR wies beide Beschwerden ab. Die Urteile sind allerdings noch nicht rechtskräftig.

Die Gründe:
Es lag in beiden Fällen weder eine Verletzung von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) noch eine Verletzung von Art. 8 i.V.m. Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) vor.

Zwar hatten die Beschwerdeführer Anspruch auf Schutz ihres Interesses an der Feststellung eines wesentlichen Gesichtspunktes ihres Privatlebens und an dessen rechtlicher Anerkennung. Die Entscheidungen der deutschen Gerichte zielten aber darauf ab, dem Willen des Gesetzgebers zu entsprechen, einem bestehenden Familienverband zwischen dem betroffenen Kind und seinem rechtlichen Vater, der sich regelmäßig um das Kind kümmert, Vorrang einzuräumen gegenüber der Beziehung zwischen dem (angeblichen) leiblichen Vater und seinem Kind.

Aus dem Urteil im Fall Anayo gegen Deutschland ließ sich zwar ableiten, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 8 EMRK verpflichtet sind zu prüfen, ob es im Kindeswohlinteresse liegt, dem leiblichen Vater die Möglichkeit zu geben, eine Beziehung zu seinem Kind aufzubauen, etwa durch Gewährung des Umgangsrechts. Daraus folgt aber nicht notwendigerweise eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach der Konvention, biologischen Vätern die Möglichkeit einzuräumen, den Status des rechtlichen Vaters anzufechten.

Der Hauptgrund für die Ungleichbehandlung der Beschwerdeführer im Vergleich zur Mutter, zum rechtlichen Vater und zum Kind hinsichtlich der Möglichkeit, die Vaterschaft anzufechten bzw. einen Gentest zu verlangen lag in der Absicht, das jeweilige Kind und seine soziale Familie vor äußerer Beeinträchtigung zu schützen. In Erwägung seiner Schlussfolgerungen hinsichtlich Art. 8 EMRK kam der Gerichtshof zu der Auffassung, dass die Entscheidung, einem bestehen Familienverband zwischen dem betroffenen Kind und seinen rechtlichen Eltern Vorrang einzuräumen gegenüber der Beziehung zu seinem biologischen Vater, soweit dessen rechtlicher Status betroffen war, in den Beurteilungsspielraum des Staates fiel. Folglich lag in beiden Fällen keine Verletzung von Art. 8 i.V.m. Art. 14 vor.

Linkhinweis:

  • Für die auf den Webseiten des EGMR veröffentlichten englischen Volltext klicken Sie bitte hier (pdf-Dokument).
  • Für die deutsche PM klicken Sie bitte hier.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.03.2012 16:23
Quelle: EGMR PM vom 22.3.2012

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