Otto Schmidt Verlag

BFH 9.2.2012, III R 15/09

Kindergeld: Zu den Voraussetzungen eines Pflegekindschaftverhältnisses hinsichtlich einer volljährigen geistig behinderten Person

Ein behinderter Volljähriger kann nur dann Pflegekind i.S.v. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG sein, wenn die Behinderung so schwer ist, dass der geistige Zustand dem typischen Entwicklungsstand einer minderjährigen Person entspricht. Aus weiteren Umständen wie etwa der Einbindung in die familiäre Lebensgestaltung, dem Bestehen erzieherischer Einwirkungsmöglichkeiten und einer über längere Zeit bestehenden und auf längere Zeit angelegten ideellen Beziehung muss zudem auf eine Bindung wie zwischen Eltern und ihren leiblichen Kindern geschlossen werden können.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin nahm im Jahr 1999 die 1952 geborene S in ihren Haushalt auf und betreut sie im Rahmen der "Familienpflege für erwachsene geistig und körperlich behinderte Menschen". Daneben befanden sich im Haushalt eine leibliche Tochter und drei weitere Pflegekinder (davon zwei mit Behinderung). S ist seit ihrer Geburt schwerbehindert. Der Grad ihrer Behinderung betrug zunächst 50. Es wurde eine geistige Behinderung festgestellt. Seit Februar 2007 wurden der Grad der Behinderung mit 90 und eine geistige Behinderung festgestellt.

S bezieht seit April 1997 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Der Aufgabenkreis des vom Vormundschaftsgericht für S bestellten Betreuers umfasst die Vermögensangelegenheiten, die Aufenthaltsbestimmung, die Mitwirkung bei Maßnahmen der Heilbehandlung und Gesundheitsfürsorge und die Entgegennahme der Post. Das Sozialamt gewährt seit September 2006 Eingliederungshilfe für behinderte Menschen i.S.d. §§ 53 ff. des SGB XII. - Sozialhilfe. Die Klägerin erhält ein Betreuungsentgelt, das sich zusammensetzt aus einem Betrag für den durch das eigene Einkommen der S nicht gedeckten Grundbedarf und einem weiteren Betrag, der als Pflegegeld gezahlt wird.

Die beklagte Familienkasse lehnte den Antrag der Klägerin, ihr Kindergeld für die nach ihrer Ansicht als Pflegekind anzusehende S zu gewähren, ab. Sie sah die Voraussetzungen eines Pflegekindschaftsverhältnisses als nicht gegeben an. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage.

Das FG gab der Klage teilweise statt und verpflichtete die Familienkasse, über den Kindergeldantrag für die Zahlungszeiträume ab Januar 2002 entsprechend erneut zu entscheiden. Auf die Revision der Familienkasse hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück.

Die Gründe:
Nach der gesetzlichen Definition in § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG sind Pflegekinder Personen, mit denen der Steuerpflichtige u.a. durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist. Das FG hat diese Voraussetzung im Streitfall zu Unrecht bejaht und hierzu insbes. ausgeführt, es sei nicht erforderlich, dass die betreute Person behinderungsbedingt in ihrer geistigen Entwicklung einem Kind gleich stehe, und. Es genüge vielmehr, dass sie nicht selbständig leben könne und ohne die Aufnahme in die Familienpflege in einem Heim untergebracht werden müsse.

Dieser Ansicht war nicht zu folgen. Die betreute Person muss, um Pflegekind sein zu können, wie zur Familie gehörend angesehen und behandelt werden. Dies setzt ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und ihren leiblichen Kindern voraus. Da die körperliche Versorgung und die Erziehung bei einem nicht behinderten Volljährigen in der Regel keine entscheidende Rolle mehr spielt, kann ein behinderter Volljähriger nur dann Pflegekind sein, wenn die Behinderung so schwer ist, dass der geistige Zustand des Behinderten dem typischen Entwicklungsstand einer minderjährigen Person entspricht.

Aus weiteren Umständen wie der Einbindung in die familiäre Lebensgestaltung, dem Bestehen erzieherischer Einwirkungsmöglichkeiten und einer über längere Zeit bestehenden und auf längere Zeit angelegten ideellen Beziehung muss auf eine Bindung wie zwischen Eltern und ihren leiblichen Kindern geschlossen werden können. Das FG hat diese Rechtsgrundsätze nur teilweise berücksichtigt und wird daher im zweiten Rechtsgang die noch fehlenden Feststellungen nachzuholen haben.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.05.2012 11:45
Quelle: BFH PM Nr. 29 vom 2.5.2012

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