Otto Schmidt Verlag

BGH 20.6.2012, XII ZB 99/12 u.a.

Betreuungsrechtliche Zwangsbehandlungen basieren auf keiner ausreichenden gesetzlichen Grundlage

Nach der bisherigen BGH-Rechtsprechung einem Betreuer die Befugnis übertragen werden, einen der ärztlichen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu überwinden, wenn der Betroffene geschlossen untergebracht war und das Betreuungsgericht die Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB genehmigt hatte. Hieran hält der BGH allerdings nicht mehr fest, da es gegenwärtig an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage dafür fehlt.

Der Sachverhalt:
In den beiden vorliegenden Fällen war für die Betroffenen eine Betreuung eingerichtet. Die Betreuerinnen begehrten die Genehmigung einer Zwangsbehandlung der wegen psychischer Erkrankung unter Betreuung stehenden, einwilligungsunfähigen und geschlossen untergebrachten Betroffenen. Diese benötigen wegen ihrer Erkrankung zwar eine medikamentöse Behandlung, lehnen die Behandlung krankheitsbedingt aber ab.

AG und LG wiesen die Anträge der Betreuerinnen auf betreuungsgerichtliche Genehmigung der Zwangsbehandlung ab. Auch die beiden Rechtsbeschwerden vor dem BGH blieben erfolglos.

Die Gründe:
Zwar kann im Rahmen des Wirkungskreises der Gesundheitsvorsorge einem Betreuer die Befugnis übertragen werden, an Stelle des Betroffenen in dessen ärztliche Behandlung einzuwilligen. Nach der bisherigen BGH-Rechtsprechung umfasste dies auch die Befugnis, einen der ärztlichen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu überwinden, wenn der Betroffene geschlossen untergebracht war und das Betreuungsgericht die Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB genehmigt hatte. Hieran hält der BGH allerdings nicht mehr fest. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Das BVerfG hatte in zwei grundlegenden Beschlüssen aus dem Jahr 2011 entschieden, dass die Zwangsbehandlung eines im strafrechtlichen Maßregelvollzug Untergebrachten nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig ist, das die Voraussetzung für die Zulässigkeit des Eingriffs bestimmt. Die weitreichenden Befugnisse der Unterbringungseinrichtung und die dadurch eingeschränkten Möglichkeiten der Unterstützung und Begleitung durch Außenstehende setzten den Untergebrachten in eine Situation außerordentlicher Abhängigkeit, in der er besonderen Schutzes auch dagegen bedürfe, dass seine grundrechtlich geschützten Belange etwa aufgrund von Eigeninteressen der Einrichtung oder ihrer Mitarbeiter bei nicht aufgabengerechter Personalausstattung oder aufgrund von Betriebsroutinen unzureichend gewürdigt würden.

Diese Vorgaben sind im Wesentlichen auf die Zwangsbehandlung im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung zu übertragen. Zwar ist der Betreuer im Rahmen seines Wirkungskreises grundsätzlich zur Vertretung des Betroffenen befugt. Besonders gravierende Eingriffe in die Rechte des Betroffenen bedürfen aber schon aus verfassungsrechtlichen Gründen einer ausdrücklichen gerichtlichen Genehmigung. So ist insoweit die sich aus den §§ 1901, 1902 BGB ergebende Rechtsmacht des Betreuers eingeschränkt. So müssen etwa besonders gefährliche ärztliche Maßnahmen nach § 1904 BGB, eine Sterilisation nach § 1905 BGB, eine geschlossene Unterbringung nach § 1906 BGB und die Aufgabe der Mietwohnung eines Betroffenen nach § 1907 BGB zuvor durch das Betreuungsgericht genehmigt werden.

Eine entsprechende gesetzliche Grundlage für die gebotene staatliche Kontrolle des Betreuerhandelns fehlt allerdings hinsichtlich einer Zwangsbehandlung des Betroffenen. Eine solche muss inhaltlich den gleichen Anforderungen genügen, die das BVerfG im Rahmen des strafrechtlichen Maßregelvollzugs aufgestellt hat. Die materiellen Vorschriften des Betreuungsrechts, insbesondere § 1906 BGB als Grundlage für eine bloße Freiheitsentziehung, und die Verfahrensvorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) genügen diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen jedoch nicht.

Linkhinweise:

  • Die Volltexte der Entscheidungen sind auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.07.2012 15:45
Quelle: BGH PM Nr. 115 vom 17.7.2012

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