Otto Schmidt Verlag

BFH 24.5.2012, III R 20/10

Zum Anspruch auf Kindergeld für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer bei Unterbrechung des geduldeten Aufenthalts

§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a EStG verlangt, dass der Ausländer sich seit mindestens drei Jahren ohne Unterbrechung rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Inland aufhält. Wird der Aufenthalt unterbrochen (hier: durch zwischenzeitliche Ausreiseaufforderungen), so beginnt die dreijährige Wartefrist erneut zu laufen.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist der Vater des im Mai 1994 geborenen C und der im August 1998 geborenen T. Als vietnamesischer Staatsangehöriger verfügte der Kläger zumindest seit September 1997 und bis zum 11.3.2001 im Inland über Duldungen; er ist zudem seit 1991 bei der Firma W beschäftigt.

In der Zeit vom 15.3.2001 bis zum 15.5.2001 bestanden Ausreiseaufforderungen. Zusätzlich wurde dem Kläger eine Grenzübertrittsbescheinigung ausgehändigt. Ab dem 8.6.2001 erhielt er Aufenthaltsbefugnisse nach § 30 AuslG 1990. Seit dem 17.6.2005 ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Die beklagte Familienkasse lehnte den Kindergeldantrag des Klägers zunächst ab. Für die Zeit ab Juni 2005 setzte sie Kindergeld fest.

Im Klageverfahren verpflichtete sich die Familienkasse, Kindergeld auch für die Monate Juni 2004 bis Mai 2005 festzusetzen. Für die verbleibenden Monate Juni 2001 bis Mai 2004 gab das FG der Klage statt. Auf die Revision der Familienkasse hob der BFH das Urteil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Das FG hat die Anspruchsberechtigung des Klägers nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG zu Unrecht für die Monate Juni 2001 bis Mai 2004 bejaht.

Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, der eine in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt, erhält Kindergeld nur, wenn er sich - neben der weiteren, hier nicht streitigen Voraussetzung des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG - seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a EStG). Die Voraussetzungen müssen dabei kumulativ erfüllt sein. Nach dem Wortlaut der Vorschrift genügt es nicht, dass der Betreffende sich irgendwann einmal drei Jahre rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufgehalten hat. Die Präposition "seit" dient vielmehr zur Angabe eines Zeitpunkts, zu dem ein noch anhaltender Zustand oder Vorgang begonnen hat; "noch anhaltend" ist wiederum gleichzusetzen mit "ununterbrochen" oder "zusammenhängend".

Eine Unterbrechung des rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalts ist nach dem Wortlaut der Norm generell schädlich. Mehrere kürzere Einzelabschnitte eines rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalts dürfen daher nicht zusammengerechnet werden. Ebenso wenig ist es mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar, einen dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt anzuerkennen, der - wie im Streitfall - einige Zeit vor dem für die Kindergeldberechtigung maßgebenden Titelerwerb endete.

Nach alldem ist der Kläger für die Monate Juni 2001 bis Mai 2004 nicht anspruchsberechtigt. Am 8.6.2001 wurde dem Kläger eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG 1990 erteilt und diese in der Folge bis Juni 2005 mehrfach verlängert. Zwar war der Aufenthalt des Klägers zuvor mehr als drei Jahre geduldet, nämlich zumindest seit September 1997 bis März 2001. Dieser zunächst geduldete und sodann ab 8.6.2001 rechtmäßige Aufenthalt des Klägers wurde allerdings durch zwei Ausreiseaufforderungen bis zum 15.4. und 15.5.2001 unterbrochen. Da der zunächst geduldete Aufenthalt mithin nicht durchgehend bis zum Erhalt der Aufenthaltsbefugnis am 8.6.2001 fortbestand, ist der Kläger im Streitzeitraum von Juni 2001 bis Mai 2004 nicht kindergeldberechtigt. Im Juni 2001 begann die dreijährige Wartefrist infolge der Unterbrechung vielmehr erneut zu laufen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.11.2012 11:37
Quelle: BFH online

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