Otto Schmidt Verlag

BGH 10.10.2012, XII ZB 444/11

Der Anfechtung nach § 21 Abs. 2 FamFG unterliegen auch negative Aussetzungsentscheidungen

Zwar kann dem Wortlaut des § 21 Abs. 2 FamFG nicht zweifelsfrei entnommen werden, ob auch der Beschluss, mit dem ein Antrag zur Aussetzung abgelehnt wird, der Anfechtung unterliegt. Die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur hält allerdings auch die Anfechtung negativer Aussetzungsentscheidungen nach § 21 Abs. 2 FamFG für möglich.

Der Sachverhalt:
Im vorliegenden Fall ging es um einen minderjährigen Jungen, der im Februar 2005 nichtehelich geboren wurde. Die Mutter des Kindes ist serbische Staatsangehörige aus dem Kosovo, die sich zu diesem Zeitpunkt nach Ablehnung von Asyl- und Asylfolgeanträgen mit vier weiteren minderjährigen Kindern aufgrund einer ausländerrechtlichen Duldung in Deutschland aufhielt. Im April 2006 erkannte der Beteiligte zu 1), ein deutscher Staatsangehöriger, die Vaterschaft für den Jungen an. Aufgrund der hierdurch vermittelten deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes wurde der Kindesmutter und ihren weiteren Kindern eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Beteiligten zu 1) und dem Kind besteht nicht.

Im Juli 2010 hat der Antragsteller unter Hinweis auf das behördliche Anfechtungsrecht nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB die Vaterschaft angefochten. Das Kind trat dieser Vaterschaftsanfechtung entgegengetreten und beantragte, das Verfahren im Hinblick auf die beim BVerfG aufgrund von Richtervorlagen des OLG Bremen und des AG Hamburg-Altona anhängigen Normenkontrollverfahren zu § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB auszusetzen. Das AG wies den Antrag zurück; das OLG hat das Verfahren in erster Instanz bis zur Entscheidung des BVerfG über die beiden Richtervorlagen ausgesetzt.

Die hiergegen zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragstellers blieb vor dem BGH erfolglos.

Die Gründe:
Das OLG hat zu Recht die Erstbeschwerde gegen die angefochtene Zwischenentscheidung nach § 21 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO als statthaft angesehen, obwohl das AG das Verfahren nicht ausgesetzt, sondern die beantragte Aussetzung des Verfahrens abgelehnt hatte.

Zwar kann dem Wortlaut des § 21 Abs. 2 FamFG nicht zweifelsfrei entnommen werden, ob auch der Beschluss, mit dem ein Antrag zur Aussetzung abgelehnt wird, der Anfechtung unterliegt. Die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur hält allerdings auch die Anfechtung negativer Aussetzungsentscheidungen nach § 21 Abs. 2 FamFG für möglich. Eine Beschränkung der Anfechtbarkeit von Beschlüssen auf positive Aussetzungsentscheidungen hätte zur (systemwidrigen) Folge, dass in Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit einerseits und in Ehesachen und Familienstreitsachen andererseits unterschiedliche Anfechtungsmöglichkeiten gegenüber Aussetzungsentscheidungen der Gerichte bestünden, weil der in Ehesachen und Familienstreitsachen über die Verweisung in § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG anwendbare § 252 ZPO ausdrücklich auch die Anfechtung von negativen Aussetzungsentscheidungen ermöglicht.

Zu Recht war das OLG auch davon ausgegangen, dass ein Aussetzungsgrund i.S.d. § 21 Abs. 1 FamFG vorlag. Solange sich das Gericht keine abschließende Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes gebildet hat, ist die Aussetzung eines Verfahrens nach § 21 Abs. 1 FamFG ohne gleichzeitige Vorlage an das BVerfG möglich, wenn die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes bereits Gegenstand einer anhängigen Verfassungsbeschwerde oder Richtervorlage ist.

Das Vorliegen eines Aussetzungsgrundes nach § 21 FamFG unterliegt der vollen Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Dieses hat dabei grundsätzlich die durch das vorinstanzliche Gericht vertretene Rechtsauffassung hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit und der Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsvorschrift zugrunde zu legen. Außerdem ist bei der Ermessensentscheidung insbesondere zu berücksichtigen, ob den Beteiligten die aussetzungsbedingte Verfahrensverzögerung zugemutet werden kann. Im vorliegenden Fall erwies sich die Entscheidung des Beschwerdegerichts schon deshalb als richtig, weil sich der Senat - nach Erlass der angefochtenen Entscheidung - der Auffassung angeschlossen hatte, dass die behördliche Vaterschaftsanfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB in ihrer derzeitigen gesetzlichen Ausgestaltung wegen der Verletzung des Gebots der Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder verfassungswidrig ist.

Linkhinweis:

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.11.2012 11:41
Quelle: BGH online

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