Otto Schmidt Verlag

BGH 7.11.2012, XII ZB 325/12

Zulässige Berufung trotz Falschbezeichnung der angefochtenen Entscheidung

Berufungen sind auch bei Falschbezeichnung der angefochtenen Entscheidung und des statthaften Rechtsmittels in der Rechtsmittelfrist zulässig eingelegt, wenn die Berufungsgerichte sie vor Ablauf der Rechtsmittelfrist anhand der vorliegenden Akten eindeutig zugeordnet haben. Dies gilt erst recht, wenn das Rechtsmittel von demselben Rechtsanwalt eingelegt wird, der die Partei bereits in der Vorinstanz vertreten hat.

Der Sachverhalt:
Die Parteien sind rechtskräftig geschiedene Eheleute. Das FamG hatte der Abänderungsklage des unterhaltspflichtigen Klägers durch ein am 11.10.2011 verkündetes Urteil teilweise stattgegeben. Das Urteil wurde dem Kläger zu Händen seines Anwaltes am 19.10.2011 zugestellt. Mit einem an das AG gerichteten Fax vom 9.11.2011, versendet am 10.11.2011 und bei der Geschäftsstelle des AG eingegangen am 14.11.2011, legte der Anwalt des Klägers unter Angabe des Kurzrubrums sowie des erstinstanzlichen Aktenzeichens "gegen den Beschluss des Gerichts vom 4.11.2011" Beschwerde ein und bat gleichzeitig um Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren.

Am selben Tag ging auch das Original des Schriftsatzes bei der erstinstanzlichen Posteingangsstelle ein. Auf richterliche Verfügung leitete das AG die Rechtsmittelschrift nebst Akte an das OLG weiter, wo beides am 18.11.2011 einging. Zwischenzeitlich hatte der Anwalt des Klägers bemerkt, dass in der Rechtsmittelschrift die angefochtene Entscheidung und das statthafte Rechtsmittel falsch bezeichnet waren; außerdem war sie unrichtiger Weise beim erstinstanzlichen Gericht statt beim Rechtsmittelgericht eingereicht worden. Mit Fax vom 9.11.2011, das am 17.11.2011 abgesendet wurde und beim AG am 18.11.2011 einging, machte der Anwalt auf den Fehler aufmerksam. Das AG verfügte noch am selben Tag die Weiterleitung an das OLG, wo das Fax und das Original am 23.11.2011 eingingen.

Das OLG verweigerte dem Kläger die Prozesskostenhilfe, da das Rechtsmittel in unzulässiger Weise eingelegt worden sei. Mit einem weiteren, nicht unterzeichneten und auf den 14.12.2011 datierten Fax, das am 27.12.2011 beim OLG einging, beantragte der Kläger eine Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist um einen Monat. Das OLG wies den Antrag unter Hinweis auf die bereits am 19.12.2011 abgelaufene Begründungsfrist ab. Ebenso verwarf es die Berufung als unzulässig und lehnte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hob der BGH den Beschluss auf und gewährte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Die Gründe:
Das OLG hatte zu Unrecht dem Kläger die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist versagt und seine Berufung verworfen.

In der Rechtsmittelschrift waren sowohl das erstinstanzliche Aktenzeichen als auch das Kurzrubrum korrekt angegeben, so dass kein Zweifel bestand, welcher Rechtssache es zuzuordnen war. Auch war das Rechtsmittel von demselben Rechtsanwalt eingelegt worden, der den Kläger bereits in der Vorinstanz vertreten hatte, so dass durch einen Abgleich der Rechtsmittelschrift mit der beim OLG zeitgleich eingegangenen Akte nicht zweifelhaft sein konnte, für welche Partei das Rechtsmittel eingelegt war.

Zwar waren in der Rechtsmittelschrift die angefochtene Entscheidung und das statthafte Rechtsmittel falsch bezeichnet; außerdem war sie unrichtiger Weise beim erstinstanzlichen Gericht statt beim Rechtsmittelgericht eingereicht worden. Hieraus konnte jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass der Kläger sich gegen den antragsgemäß zu seinen Gunsten und ratenfrei ergangenen Prozesskostenhilfebeschluss vom 4.11.2011 wenden wollte. Die Falschbezeichnungen in der Rechtsmittelschrift waren evident, weil der Kläger durch die Entscheidung vom 4.11.2011 offensichtlich nicht beschwert war. Außerdem beantragte der Kläger zugleich, ihm "Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren" zu bewilligen. Auch daraus wurde ersichtlich, dass sich das Rechtsmittel gegen eine Hauptsacheentscheidung richten sollte.

Die falsche Bezeichnung der Entscheidungsform ("Beschluss" statt "Urteil") und die falsche Einlegung des Rechtsmittels beim erstinstanzlichen Gericht mögen dadurch zu erklären sein, dass vom Klägervertreter übersehen wurde, dass hier noch ein Verfahren nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden alten Verfahrensrecht vorlag. Sie lassen daher ebenfalls keinen Schluss darauf zu, das Rechtsmittel habe sich nicht gegen die Hauptsacheentscheidung richten sollen. Tatsächlich hat auch das OLG das eingelegte Rechtsmittel von Beginn an als Berufung gegen die Hauptsacheentscheidung verstanden und es entsprechend behandelt.

Linkhinweis:

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.12.2012 11:37
Quelle: BGH online

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