Otto Schmidt Verlag

BGH 19.12.2012, XII ZB 169/12

Fristbestimmung: Rechtsmittelführer darf auf BGH-Rechtsprechung vertrauen

Folgt der Rechtsmittelführer (hier: in einem Unterhaltsverfahren) bei der Bestimmung der Frist zur Begründung der Berufung nach bewilligter PKH (für eine beabsichtigte Berufung) der BGH-Rechtsprechung (Beginn der einmonatigen Frist zur Begründung mit Bekanntgabe des Wiedereinsetzungsbeschlusses), fehlt es regelmäßig an einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, wenn das Berufungsgericht hiervon unter Bezugnahme auf die Auffassung eines anderen Zivilsenats des BGH abweicht.

Der Sachverhalt:
Die minderjährige Klägerin hatte den Beklagten, ihren Vater, auf Unterhalt verklagt. Das der Klage teilweise stattgebende Urteil wurde dem Beklagten am 10.11.2010 zugestellt. Am 9.12.2010 beantragte dieser Prozesskostenhilfe für eine von ihm beabsichtigte Berufung, die ihm das Beschwerdegericht antragsgemäß unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligte. Dieser Beschluss wurde Letzterem am 26.10.2011 zugestellt.

Nachdem der Rechtsanwalt am 17.11.2011 darauf hingewiesen worden war, dass bislang kein Wiedereinsetzungsgesuch eingegangen sei, beantragte er am 1.12.2011 hinsichtlich des versäumten Wiedereinsetzungsantrags Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und legte zugleich gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung ein. Außerdem beantragte er wegen der versäumten Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete die Berufung.

Das OLG verwarf die Berufung unter Ablehnung der Wiedereinsetzung bezüglich der versäumten Berufungsbegründungsfrist. Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten hob der BGH des Beschluss wieder auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das Berufungsgericht hätte dem Beklagten Wiedereinsetzung gewähren müssen.

Nach der Entscheidung des XI. Zivilsenats des BGH vom 19.6.2007 beginnt die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO zur Nachholung der Berufungsbegründung erst mit der Mitteilung der Wiedereinsetzungsentscheidung. Der XII. Senat brachte zwar in seiner Entscheidung vom 11.6.2008 (XII ZB 184/05) - als obiter dictum - zum Ausdruck, dass die Wiedereinsetzungsfrist gem. § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO seiner Auffassung nach bereits mit Bekanntgabe des PKH-Beschlusses zu laufen beginnt. Unbeschadet der Frage, welcher der vorgenannten Auffassungen zu folgen ist, hätte das Berufungsgericht dem Beklagten allerdings Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist zur Begründung der Berufung gewähren müssen.

Folgt der Rechtsmittelführer bei der Bestimmung der Frist zur Begründung der Berufung nach bewilligter PKH für eine beabsichtigte Berufung der BGH-Rechtsprechung und weicht das Berufungsgericht hiervon unter Bezugnahme auf die Auffassung eines anderen Zivilsenats des BGH ab, fehlt es regelmäßig an einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten. Das Rechtsmittelgericht hat dem Rechtsmittelführer in einem solchen Fall bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen auch von Amts wegen Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist zur Begründung der Berufung zu gewähren.

Infolgedessen war der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nicht gehalten, vorsorglich die Zustellung des PKH-Beschlusses als Fristbeginn für die Einreichung der Berufungsbegründung zu notieren, da er sich auf die höchstrichterliche Rechtsprechung verlassen durfte. Anders als im Fall der Senatsentscheidung, die zu dem hier im Streit stehenden Fristbeginn lediglich ein obiter dictum enthält, kam es in dem vom XI. Zivilsenat entschiedenen Fall auf die Streitfrage an. Hinzu kommt, dass zwei weitere Senate die Auffassung des XI. Zivilsenats in obiter dicta übernommen haben.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BGH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.01.2013 15:51
Quelle: BGH online

zurück zur vorherigen Seite