Otto Schmidt Verlag

BFH 7.3.2013, V R 61/10

Zur Gewährung von Kindergeld nach Sozialsicherungsabkommen

Ein Werkstudent, für den aufgrund eines sog. Werkstudentenprivilegs keine Sozialversicherungspflicht besteht, kann nach § 62 Abs. 1 EStG i.V.m. dem SozSichAbk YUG kindergeldberechtigt sein. Eine sozialversicherungsrechtliche Begünstigung, die es Studenten erleichtern soll, als Arbeitnehmer Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zu verdienen, rechtfertigt es nicht, eine abkommensrechtliche Kindergeldberechtigung "für Arbeitnehmer" einzuschränken.

Der Sachverhalt:
Der Kläger stammt aus dem Kosovo und war zunächst jugoslawischer und später serbischer Staatsbürger. Er studierte seit 1999 an einer deutschen Universität Chemie und war aufgrund des Studiums im Inland aufenthaltsberechtigt. Neben seinem Studium war er ab August 2000 aufgrund einer mehr als geringfügigen Beschäftigung von ca. 20 Wochenstunden als Krankenpfleger renten-, jedoch nicht arbeitslosenversicherungspflichtig tätig. Die Versicherungsfreiheit bei der Arbeitslosenversicherung beruhte gem. § 27 Abs. 4 Nr. 2 SGB III auf dem Studium des Klägers.

Für seinen im März 2000 im Inland geborenen und lebenden Sohn stellte der Kläger im Dezember 2003 für den Zeitraum ab August 2000 Antrag auf Kindergeld, den die Familienkasse ablehnte. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Während des FG-Verfahrens beantragte der Kläger Kindergeld erneut für seinen Sohn und darüber hinaus für seine im Juni 2007 geborene Tochter. Die Familienkasse gewährte daraufhin Kindergeld für den Zeitraum ab August 2007, da der Kläger ab diesem Monat aufgrund eines neu abgeschlossenen Arbeitsvertrages eine arbeitslosenversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt habe.

Das FG gab der Klage statt. Auf die Revision der Familienkasse hob der BFH das Urteil teilweise auf und verwies die Sache in diesem Umfang an das FG zurück.

Die Gründe:
Im Hinblick auf den Streitzeitraum April 2004 bis Juli 2007 ist die Klage mangels Vorverfahrens unzulässig. Das Urteil des FG war insoweit aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), damit es der Familienkasse Gelegenheit gibt, die noch fehlende Einspruchsentscheidung zu erlassen. I.Ü. hat das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger nach dem SozSichAbk YUG kindergeldberechtigt ist.

Für den Zeitraum April 2000 bis März 2004 lagen die Voraussetzungen für eine Kindergeldberechtigung des Klägers gem. § 62 Abs. 1 EStG vor. Wie das FG zu Recht entschieden hat, kommt es im Streitfall im Hinblick auf das vorrangig anzuwendende SozSichAbk YUG nicht darauf an, ob der nach § 62 Abs. 1 EStG bestehende Kindergeldanspruch durch § 62 Abs. 2 EStG zu Lasten - nicht freizügigkeitsberechtigter - Ausländer eingeschränkt wird und ob diese Einschränkung verfassungsgemäß ist. Im Streitfall ist das SozSichAbk YUG, das auch nach dem Zerfall Jugoslawiens weiter anzuwenden ist, zugunsten des Klägers anwendbar.

Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a SozSichAbk YUG stehen bei der Anwendung der Rechtsvorschriften eines Vertragsstaats (hier: Deutschland) die Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaats den Staatsangehörigen des zuerst genannten Vertragsstaats gleich. Danach ist der Kläger, der im maßgeblichen Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung serbischer Staatsangehöriger war, wie ein deutscher Staatsangehöriger zu behandeln. Hinsichtlich der sich hieraus ergebenden Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen steht der Anspruchsberechtigung des Klägers der in § 62 Abs. 2 EStG vorgesehene Anspruchsausschluss für Ausländer nicht entgegen.

Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des Arbeitnehmerbegriffs i.S.v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG. Nach einem Urteil des BSG liegt der Vorschrift ein enger Arbeitnehmerbegriff zugrunde, der darauf beruht, dass nach jugoslawischem Recht nur Arbeitnehmer Anspruch auf Kindergeld hatten. Daraus folgt, dass ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis, das zu einer Versicherungsfreiheit bei Kranken- und Arbeitslosen- und Rentenversicherung führt, keine Arbeitnehmereigenschaft begründet. Aus der engen Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs folgt aber nicht, dass die Arbeitnehmereigenschaft i.S.v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG stets eine Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung voraussetzt.

Besteht in einem Sozialversicherungszweig für einen Arbeitnehmer eine Versicherungsfreiheit aufgrund einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung, ist vielmehr unter Berücksichtigung der mit der Ausnahmeregelung verfolgten Ziele zu entscheiden, ob die erforderliche Arbeitnehmereigenschaft vorliegt. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Versicherungsfreiheit nach § 27 Abs. 4 SGB III (Arbeitsförderung) auf einem sog. "Werkstudentenprivileg" beruht. Eine sozialversicherungsrechtliche Begünstigung, die es Studenten erleichtern soll, als Arbeitnehmer Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zu verdienen, rechtfertigt es nicht, eine abkommensrechtliche Kindergeldberechtigung "für Arbeitnehmer" einzuschränken.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.05.2013 16:59
Quelle: BFH online

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