Otto Schmidt Verlag

FG Düsseldorf 29.10.2013, 10 K 3113/13 Kg

Zur Frage der Kindergeldberechtigung für verheiratete Kinder nach Wegfall des Grenzbetrages

Da seit dem 1.1.2012 die Einkünfte und Bezüge des Kindes bei Erstausbildungen nicht mehr zu berücksichtigen sind und bereits unter diesem Gesichtspunkt eine typische Unterhaltssituation nicht erforderlich ist, können auch den Bedarf des Kindes deckende Unterhaltsansprüche gegenüber dem Ehegatten einem Kindergeldanspruch nicht entgegenstehen. Mangels gesetzlicher Regelung kann das Fehlen einer typischen Unterhaltssituation einen nach dem Gesetz bestehenden Unterhaltsanspruch nicht ausschließen.

Der Sachverhalt:
Strittig ist, ob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für die 1989 geborene Tochter B des Klägers ab dem 1.1.2012 aufheben und das für 2012 gezahlte Kindergeld zurückfordern durfte. B nahm nach dem Besuch eines Berufskollegs und einem Praktikum in einem Krankenhaus im April 2010 eine dreijährige Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin auf. Im Dezember 2011 heiratete sie C. B's Ausbildung dauerte über das Streitjahr hinaus an.

Die beklagte Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergelds für B gem. § 70 Abs. 4 i.V.m. § 52 Abs. 62a EStG ab Januar 2011 bis Dezember 2012 auf, weil B's Einkommen in diesen Jahren den maßgeblichen Grenzbetrag überschritten habe, und forderte das für diese Jahre gezahlte Kindergeld i.H.v. 4.560 € nach § 37 Abs. 2 AO zurück. Zur Begründung bezog sie sich bzgl. des Streitzeitraums (Januar 2012 bis Dezember 2012) ferner darauf, dass B seit Dezember 2011 verheiratet sei, weshalb ihr Einkommen auch für das Kalenderjahr 2012 zu prüfen sei.

Der Kläger ist demgegenüber der Meinung, dass die Aufhebung der Festsetzung des Kindergeldes und dessen Rückforderung zwar für das Jahr 2011 zu Recht erfolgt sei, nicht dagegen für den Streitzeitraum. Er habe für den Streitzeitraum unabhängig von B's Einkommen einen Anspruch auf Kindergeld für sie, weil § 32 Abs. 4 S. 2 EStG in der bis Ende 2011 geltenden Fassung ab dem 1.1.2012 entfallen sei. Die Einkünfte seines Schwiegersohnes seien ebenfalls nicht von Bedeutung.

Das FG gab der Klage statt. Die Revision zum BFH wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage der Kindergeldberechtigung für verheiratete Kinder nach Wegfall des Grenzbetrags zugelassen.

Die Gründe:
Die Aufhebung der Festsetzung des Kindergeldes für den Streitzeitraum durfte nicht auf § 70 Abs. 4 EStG a.F. gestützt werden. Danach war eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wurde, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG über- oder unterschreiten. § 70 Abs. 4 EStG in der am 31.12.2011 geltenden Fassung ist jedoch nur noch auf Kindergeldfestsetzungen anwendbar, die Zeiträume betreffen, die vor dem 1.1.2012 enden. Die Voraussetzungen anderer Änderungsvorschriften (§ 70 Abs. 1 bis 3 EStG, §§ 172 ff. AO) sind schon deshalb nicht erfüllt, weil der Kläger für den Streitzeitraum einen Anspruch auf Kindergeld für B hatte.

Der Anspruch des Klägers für B ergibt sich aus den §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2, 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Die Höhe der Einkünfte des Kindes ist für den Streitzeitraum ebenso ohne Bedeutung wie ein etwaiger Unterhaltsanspruch gegen den Ehemann. § 32 Abs. 4 S. 2 EStG in der bis zum 31.12.2011 geltenden Fassung ist mit Wirkung ab dem 1.1.2012 entfallen. Nach § 32 Abs. 4 S. 2 EStG in der derzeit geltenden Fassung ist eine Erwerbstätigkeit des Kindes allenfalls dann von Bedeutung, wenn das Kind eine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium abgeschlossen hat. Bei B's Ausbildung handelt es sich demgegenüber um eine Erstausbildung.

Die Einkünfte von B's Ehemann sind für den Kindergeldanspruch des Klägers ebenfalls unerheblich. Ob ein sog. "Mangelfall" vorliegt, ist ohne Bedeutung, weil der Umstand, dass B verheiratet ist, dem Kindergeldanspruch nicht entgegensteht. Das Gesetz sieht für verheiratete Kinder keine Einschränkungen vor. Das Erfordernis des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der "typischen Unterhaltssituation" hat der BFH in der jüngeren Rechtsprechung für die Fälle der Vollzeitbeschäftigung ausdrücklich mit der Begründung aufgegeben, dass eine typische Unterhaltssituation kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Berücksichtigungstatbestände sei. Die Frage, ob ein Kind typischerweise nicht auf Unterhaltsleistungen seiner Eltern angewiesen ist, sei nach der gesetzlichen Regelung erst im Rahmen der eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes (§ 32 Abs. 4 S. 2 EStG a. F.) zu prüfen.

Da die Einkünfte und Bezüge des Kindes seit dem 1.1.2012 jedoch bei Erstausbildungen nicht mehr zu berücksichtigen sind und bereits unter diesem Gesichtspunkt eine typische Unterhaltssituation nicht erforderlich ist, können auch den Bedarf des Kindes deckende Unterhaltsansprüche gegenüber dem Ehegatten einem Kindergeldanspruch nicht entgegenstehen. Mangels gesetzlicher Regelung kann das Fehlen einer typischen Unterhaltssituation einen nach dem Gesetz bestehenden Unterhaltsanspruch nicht ausschließen.

Linkhinweis:

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.11.2013 11:15
Quelle: Rechtsprechungsdatenbank NRW

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