Otto Schmidt Verlag

BFH 10.4.2014, III R 35/13

Private Lerngemeinschaft stellt keine regelmäßige Arbeitsstätte dar

Besucht ein Auszubildender eine Berufsfachschule, deren Träger sein Arbeitgeber ist und die sich auf demselben Gelände wie der Ausbildungsbetrieb befindet, ist auch die Berufsfachschule regelmäßige Arbeitsstätte in Sicht der bis Ende 2013 geltenden Regelung. Besucht der Auszubildende zudem eine private Lerngemeinschaft, die in der Wohnung eines anderen Auszubildenden stattfindet, handelt es sich dabei auch dann nicht um eine regelmäßige Arbeitsstätte, wenn sich die Wohnung in einem auf dem Betriebsgelände liegenden Wohnheim des Arbeitgebers befindet.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Vater einer 1989 geborenen Tochter. Diese befand sich in der Zeit von Oktober 2009 bis Ende September 2012 in einem dualen Berufsausbildungsverhältnis. Der praktische Teil der Ausbildung fand in den Räumen des Klinikums statt, bei dem sie die Ausbildung absovierte. Der theoretische Teil wurde in der Berufsfachschule vermittelt. Diese befindet sich schräg gegenüber den Klinikgebäuden in ca. 200 m Entfernung.

Die Tochter bezog 2011 einen Bruttoarbeitslohn i.H.v. 12.368 €. Ferner erhielt sie steuerfreie Bezüge i.H.v. 284 €. Ihre Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung betrugen 2.551 €. Im Streitzeitraum fuhr sie an 143 Tagen zum Klinikum, an 77 Tagen zur Berufsfachschule und an 15 Tagen zu einer Lerngemeinschaft. Die Lerngemeinschaft wurde im Wohnheim des Klinikums durchgeführt, das sich in derselben Straße wie das Klinikum befindet. Die Entfernung zwischen der Wohnung und allen drei Ausbildungsorten beträgt jeweils 23 km.

Die Familienkasse lehnte den Antrag des Klägers auf Kindergeldfestsetzung mit der Begründung ab, dass die Einkünfte und Bezüge der Tochter im Jahr 2011 über dem maßgeblichen Grenzbetrag von 8.004 € gelegen hätten. Für die Fahrten zum Klinikum und zur Berufsfachschule setzte es die Entfernungspauschale von 0,30 € an. Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auch die Revision des Klägers vor dem BFH blieb erfolglos.

Die Gründe:
Die Einkünfte und Bezüge der Tochter hatten den Jahresgrenzbetrag gem. § 32 Abs. 4 S. 2 EStG in der für das Streitjahr 2011 geltenden Fassung i.H.v. 8.004 € überschritten.

Die Tochter befand sich in einem privatrechtlichen Ausbildungsdienstverhältnis. Zu Recht war das FG hinsichtlich der Fahrten zwischen der Wohnung und dem Ausbildungsbetrieb (Klinikum) davon ausgegangen, dass hierfür die Entfernungspauschale anzusetzen ist. Denn der Ausbildungsbetrieb stellt eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers dar, in der sie über einen längeren Zeitraum fortdauernd und immer wieder ihre durch den Ausbildungscharakter geprägte berufliche Leistung gegenüber ihrem Arbeitgeber zu erbringen hatte. Die Ausbildung im Klinikum bildete auch den Kern des gesamten Ausbildungsverhältnisses, so dass sich der Ausbildungsbetrieb als ortsgebundener Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit der Tochter darstellte.

Zu Recht hatte das FG auch die Fahrten von der Wohnung der Tochter zur Berufsfachschule mit der Entfernungspauschale angesetzt. Zum einen stellt die Berufsfachschule eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers dar. Denn der Arbeitgeber war zugleich der Träger der Berufsfachschule. Insoweit unterschied sich der vorliegende Fall von den Fällen, in denen der Auszubildende z.B. neben der Ausbildung bei einem privaten Arbeitgeber eine staatliche Berufsschule zu besuchen hat. Zum anderen war die Berufsfachschule auch in örtlicher Hinsicht Teil der regelmäßigen Arbeitsstätte. Es entspricht ständiger BFH-Rechtsprechung, dass ein größeres, räumlich geschlossenes Gebiet als regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG in Betracht kommt, wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handelt, auf dem der Arbeitnehmer auf Dauer und mit einer gewissen Nachhaltigkeit tätig wird.

Zu Unrecht hatte das FG allerdings die Fahrten von der Wohnung zum Wohnheim des Klinikums nur mit der Entfernungspauschale angesetzt, denn hierbei handelte es sich um Fahrten zu einer arbeitgeberfremden Bildungseinrichtung. Nichts anderes ergab sich daraus, dass sich das Wohnheim ebenfalls auf dem Klinikgelände befindet. Denn für die Qualifizierung als regelmäßige Arbeitsstätte kommt es nicht allein darauf an, dass immer wieder derselbe geographische Ort aufgesucht wird. Vielmehr fordert der Begriff der "Arbeitsstätte" auch, dass es sich bei der an dem betreffenden Ort durchgeführten Tätigkeit um eine im Rahmen des Arbeitsverhältnisses erbrachte Leistung handelt. Die Lerngemeinschaften fanden indessen ohne Aufforderung oder Weisung des Arbeitgebers statt. Da sich aber auch unter Berücksichtigung einer Verdoppelung der für die private Lerngemeinschaft angesetzten Fahrtkosten Einkünfte ergaben, die den gesetzlichen Grenzbetrag überschritten, erfolgte die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung im Ergebnis zu Recht.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 10.07.2014 13:43
Quelle: BFH online

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