Otto Schmidt Verlag

BFH 20.8.2014, X R 33/12

Der nach Bestandskraft gestellte Antrag auf Realsplitting ist kein rückwirkendes Ereignis

Ein erst nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids gestellter Antrag auf Abzug von Unterhaltsleistungen im Wege des Realsplittings ist kein rückwirkendes Ereignis, wenn die Zustimmungserklärung des Unterhaltsempfängers dem Geber bereits vor Eintritt der Bestandskraft vorlag. In dem Fall hat es allein der Geber in der Hand, den durch die bereits vorliegende Zustimmungserklärung qualifizierten Antrag rechtzeitig vor Eintritt der Bestandskraft zu stellen oder nicht.

Der Sachverhalt:
Der Kläger lebte im Streitjahr 2007 bereits seit mehreren Jahren von seiner Ehefrau (E) dauernd getrennt. Er leistete ihr Barunterhalt, den das Finanzamt in den Vorjahren 2003 bis 2006 beim Kläger antragsgemäß und mit Zustimmung der E als Sonderausgaben gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG berücksichtigte. Die letzte Zustimmungserklärung der E datiert vom 30.12.2009.

Die Einkommensteuererklärung 2007 ließ der Kläger von seinem Steuerberater S vorbereiten. S nutzte hierfür die Steuerberatungssoftware eines großen kommerziellen Anbieters (A). Er übermittelte die Daten am 8.3.2010 elektronisch an das Finanzamt; am Folgetag gingen die Anlagen zur Einkommensteuererklärung in Papierform beim Finanzamt ein. Weder in den elektronisch übermittelten Daten noch in den per Post übersandten Unterlagen wurden Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben geltend gemacht. Das Finanzamt veranlagte mit Bescheid vom 20.4.2010 erklärungsgemäß. Dieser Bescheid enthielt keine (streitgegenständlichen) Nebenbestimmung. Er wurde nicht angefochten.

Am 30.8.2010 beantragte S für den Kläger die Änderung des Bescheids nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO oder dessen Berichtigung nach § 129 AO dahingehend, dass Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben abgezogen werden. Er brachte vor, die verwendete Software der A habe für das Jahr 2007 einen Programmierfehler aufgewiesen. Unterhaltsaufwendungen würden im Rahmen der Datenübernahme aus dem Vorjahr zwar auf dem Bildschirm des Softwarenutzers angezeigt, jedoch weder in die dem Finanzamt zu übermittelnden Daten noch in die Papierausdrucke der Steuererklärung übernommen. Nach Ergehen des Steuerbescheids habe S die Bescheiddaten lediglich mit den von ihm dem Finanzamt über die A-Software übermittelten Daten verglichen, was berufsüblich sei und keine Abweichungen ergeben habe. Das Finanzamt lehnte den Änderungsantrag ab.

Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BFH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Eine Änderung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO ist nicht möglich.

Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Ob ein Ereignis ausnahmsweise steuerlich in die Vergangenheit zurückwirkt, richtet sich allein nach den Normen des jeweils einschlägigen materiellen Steuerrechts. Es muss ein Bedürfnis bestehen, eine schon bestandskräftig getroffene Regelung an die nachträgliche Sachverhaltsänderung anzupassen. Die von der Rechtsprechung bisher angenommenen Ausnahmen sind in aller Regel dadurch gekennzeichnet, dass zumindest bei einer übergreifenden Betrachtung noch keine vollständige Bestandskraft eingetreten war.

Eine solche Ausnahmekonstellation hat der erkennende Senat im Urteil in BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957 in Bezug auf das Realsplitting auch für den Fall bejaht, dass erst nach Eintritt der Bestandskraft des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids sowohl die Zustimmung des Empfängers der Unterhaltsleistungen erteilt als auch der Antrag des Gebers gestellt wurde. Dies könnte dafür sprechen, dass es nicht darauf ankomme, ob die Zustimmungserklärung des Empfängers im Zeitpunkt des Eintritts der Bestandskraft des ursprünglichen Bescheids bereits vorlag oder ob - wie im Fall des zitierten Senatsurteils - beide Verfahrenserklärungen erst nachträglich abgegeben wurden.

Eine solche Betrachtung würde indes dem Umstand nicht gerecht, dass die vorstehend zitierten Ausführungen in der angeführten Entscheidung auf der Einschätzung des Senats fußen, die Rückwirkung des rechtsgestaltenden Antrags ergebe sich aus der Erwägung, die erforderliche Zustimmung des Empfängers werde in typischen Fällen erst nachträglich erteilt. Daher bestehe ein Bedürfnis, eine schon bestandskräftig gewordene Regelung an die nachträgliche Änderung des Sachverhalts anzupassen. Grundlage für diese Erwägung war die damals geltende Rechtslage, wonach die Zustimmung keine Dauerwirkung hatte, sondern für jeden Veranlagungszeitraum erneut erteilt werden musste.

Demgegenüber hat die Zustimmung seit 1990 grundsätzlich Dauerwirkung (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG); ein Widerruf hat nur Wirkung für Kalenderjahre, die erst nach dem Widerruf beginnen (Satz 5). Damit ist seither nicht mehr davon auszugehen, dass die Zustimmung typischerweise erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums erteilt wird. Vielmehr ist die dauerhaft wirkende Zustimmung die Regel. In einem solchen Fall besteht aber jedenfalls dann kein Bedürfnis für eine bestandskraftdurchbrechende Rückwirkung - allein - des Antrags, wenn die Zustimmungserklärung dem Geber im Zeitpunkt des Eintritts der Bestandskraft des ursprünglichen Bescheids tatsächlich bereits vorliegt. Vielmehr hat es in einer solchen Sachverhaltskonstellation wie hier allein der Geber in der Hand, den durch die bereits vorliegende Zustimmungserklärung qualifizierten Antrag rechtzeitig vor Eintritt der Bestandskraft zu stellen oder nicht.

Linkhinweis:

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.12.2014 11:59
Quelle: BFH online

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