Otto Schmidt Verlag

BGH 28.1.2015, XII ZR 201/13

Samenspende: Kinder haben Anspruch auf Auskunft über die Identität des anonymen biologischen Vaters

Ein Kind, das durch eine künstliche heterologe Insemination gezeugt wurde, kann grundsätzlich von der Reproduktionsklinik Auskunft über die Identität des anonymen Samenspenders verlangen, ohne dass ein bestimmtes Mindestalter dafür erforderlich ist. Allerdings muss die Abwägung aller rechtlichen Belange - auch derjenigen des Samenspenders - ein Überwiegen der Interessen des Kindes an der Auskunft ergeben.

Der Sachverhalt:
Die im Dezember 1997 und im Februar 2002 geborenen Klägerinnen verlangten von der beklagten Reproduktionsklinik Auskunft über die Identität ihres biologischen Vaters durch Bekanntgabe des Samenspenders. Sie waren jeweils durch künstliche heterologe Insemination gezeugt worden. Zugrunde lagen diesen Behandlungen Verträge mit der Mutter und dem mit dieser verheirateten (rechtlichen) Vater der Klägerinnen. Die Eheleute hatten in einer notariellen Erklärung gegenüber der Klinik auf Auskunft über die Identität der Samenspender verzichtet.

Das AG gab der Auskunftsklage der von ihren Eltern vertretenen Klägerinnen statt; das LG wies sie ab. Das Berufungsgericht war der Ansicht, den Klägerinnen stehe der geltend gemachte Auskunftsanspruch noch nicht zu. Mit dem Verlangen nach Auskunft über die Identität der Samenspender verfolgten sie ein eigenes Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung, das sie jedoch erst mit Vollendung des 16. Lebensjahres geltend machen könnten. Auf die Revision der Klägerinnen hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache an das LG zurück.

Die Gründe:
Ein Auskunftsanspruch der Klägerinnen könnte sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gem. § 242 BGB ergeben. Durch künstliche Befruchtung gezeugte Kinder sind in derartigen Konstellationen in den Schutzbereich des Behandlungsvertrags zwischen der Klinik und den Eltern einbezogen. Hinzukommen muss allerdings ein Bedürfnis des Kindes für die begehrte Information, es muss also zu erwarten sein, dass die Information von dem Kind benötigt wird. Das ist etwa immer dann der Fall, wenn die Eltern die Auskunft zum Zweck der Information des Kindes verlangen. Weder der Auskunftsanspruch noch seine Geltendmachung setzen hingegen ein bestimmtes Mindestalter des Kindes voraus.

Weitere Voraussetzung ist, dass die Auskunftserteilung für den Auskunftspflichtigen zumutbar sein muss. Ob dies der Fall ist, ist durch eine auf den konkreten Einzelfall bezogene, umfassende Abwägung der durch die Auskunftserteilung berührten rechtlichen, insbesondere grundrechtlichen, Belange zu klären. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass der Auskunftsanspruch des Kindes Ausfluss seines verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist und dazu dient, eine Information zu erlangen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit von elementarer Bedeutung sein kann. Dieser Rechtsposition wird regelmäßig ein erhebliches Gewicht im Rahmen der Abwägung zukommen.

Dem stehen andererseits die (grund-)rechtlich geschützten Interessen des Auskunftsverpflichteten gegenüber. Die Berufsausübungsfreiheit des Reproduktionsmediziners hat in diesem Zusammenhang keine maßgebliche Bedeutung. Zu berücksichtigen ist aber die ärztliche Schweigepflicht, soweit sie dem Schutz Dritter (Samenspender und Kindeseltern) dienen soll. Soweit dem Samenspender - den ärztlichen Richtlinien entsprechend - vom Arzt keine Anonymität zugesichert wurde, hat er sich des Schutzes seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung selbst begeben. Andernfalls steht diesem Recht das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung gegenüber, dem regelmäßig ein höheres Gewicht zukommen wird.

Zu berücksichtigen sind zudem mögliche Auswirkungen der Auskunft auf die private Lebensgestaltung des Samenspenders. Nicht maßgeblich sind hingegen seine wirtschaftlichen Interessen. Schließlich können auch die Interessen der Eltern dem Auskunftsbegehren des Kindes entgegenstehen, wenn sie mit der Auskunftserteilung nicht einverstanden sind. Tatsächlich wird sich insoweit aber kaum ein schützenswerter rechtlicher Belang ergeben. Denn die entsprechende Klage gegen den behandelnden Arzt kann das Kind nur dann erheben, wenn es zuvor bereits Kenntnis vom Auseinanderfallen von rechtlicher und biologischer Vaterschaft und von der Zeugung mittels Samenspende hat.

Im vorliegenden Fall hat die Klinik bislang noch keine rechtlichen Belange geltend gemacht. Dem verfassungsrechtlich geschützten Recht der Klägerinnen auf Kenntnis von ihrer Abstammung steht damit derzeit keine Rechtsposition gegenüber, die den Auskunftsanspruch zu Fall bringen könnte. Der von den Eltern erklärte Verzicht auf die Auskunft wirkt nicht zu Lasten des Kindes. Infolgedessen muss das LG im weiteren Verfahren Feststellungen dazu zu treffen, ob die Eltern die Auskunft zum Zweck der Information der Kinder begehren. Im Rahmen der Zumutbarkeit der Auskunftserteilung wird es dann die erforderliche Abwägung der zu berücksichtigenden rechtlichen Interessen vornehmen müssen.

Linkhinweise:

  • Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 29.01.2015 10:56
Quelle: BGH PM Nr. 14 vom 28.1.2015

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