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Die Verbleibensanordnung - eine grundsätzliche Betrachtung (Balloff / Vogel, FamRB 2018, 408)

Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt in § 1632 Abs. 4 und § 1682 BGB die Verbleibensanordnung. Sie trägt dem Bedürfnis des Kindes nach Sicherheit und Kontinuität seiner Lebensbedingungen Rechnung. Erkenntnisse der Bindungstheorie von J. Bowlby haben gezeigt, dass Trennungen von den Bindungspersonen die emotionale Sicherheit der Kinder bedrohen. Deshalb sollen kindeswohldienliche Beziehungen und Bindungen erhalten und nicht zerstört werden. Nach Ansicht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages besteht der Sinn und Zweck der Verbleibensanordnung vor allem in der Erlangung rechtzeitigen Schutzes des Pflegeverhältnisses. Das Kind soll nicht zur Unzeit aus der Pflegefamilie herausgenommen werden bzw. es soll vor der Rückführung Zeit und Gelegenheit erhalten, sich auf den Wechsel zu seinen Eltern bzw. in eine andere Pflegestelle einzustellen.


I. Einleitung

II. Voraussetzungen des § 1632 Abs. 4 BGB

1. Minderjährige

2. Verbleibensanordnung auf Antrag oder von Amts wegen

3. Kindeswohl

4. Tatbestandsmerkmal der "längeren Zeit in Familienpflege"

5. Herausgabeverlangen

6. Kindeswille und Gefährdungsgrad

7. Verbleibensanordnung

8. Ausschluss des Umgangsrechts der Eltern bzw. eines Elternteils mit ihrem in einer Pflegefamilie lebenden Kind

9. Wer darf den Umgang ausschließen?

III. Voraussetzungen des § 1682 BGB

IV. Fazit


I. Einleitung

Pflegekinder haben oftmals in ihrer Herkunftsfamilie keine Unterstützung, Orientierung, Verlässlichkeit, Sicherheit und Geborgenheit erfahren. Ihre leidvolle Negativ-Karriere macht sie gegenüber Erwachsenen misstrauisch. Sie sind bindungsgestört i.S.d. Nomenklatur des ICD-10 und DSM 5 oder zumindest beziehungsgestört. Sie weisen „im Vergleich zu Kindern, die in ihren unbelasteten biologischen Familien aufwachsen, signifikant häufiger desorganisierte oder gestörte Bindungen auf“. Bindungsstörungen nach Brisch zeigen sich durch:

  • keine Anzeichen von Bindungsverhalten
  • undifferenziertes Bindungsverhalten
  • übersteigertes Bindungsverhalten
  • gehemmtes Bindungsverhalten
  • aggressives Bindungsverhalten
  • Unfall-Risiko-Verhalten
  • Bindungsverhalten mit Rollenumkehrung (Problem der sog. Parentifizierung)
  • Bindungsstörung und Entwicklung von psychosomatischen Störungen (z.B. Schrei-, Schlaf- und Essprobleme im Säuglingsalter).

Allerdings berichten Bovenschen/Spangler auch, dass „Pflegekinder zu Beginn des Pflegeverhältnisses eine deutlich geringere Bindungssicherheit als Vergleichsgruppen aufwiesen, dass jedoch die Bindungssicherheit im ersten Jahr des Pflegeverhältnisses deutlich anstieg, so dass sich die Pflegekinder zwölf Monate nach Vermittlung nicht mehr von Vergleichsgruppen unbelasteter Kinder unterschieden.“ Hierfür ist nicht allein das Alter der Pflegekinder entscheidend. Vielmehr sind die Pflegeltern diejenigen Personen, die mit ihrem Einfühlungsvermögen „den Bindungsaufbau der Pflegekinder beeinflussen.“ Deshalb bedeutet die Rückführung dieser Pflegekinder von den Pflegeeltern hin zu den Herkunftseltern ebenso wie die zuvor erfolgte Herausnahme dieser Kinder aus ihrer jeweiligen Ursprungsfamilie hin zu den Pflegeeltern stets ein Bindungsabbruch, der für ihre kindliche Entwicklung einen Risikofaktor darstellt. Damit mit der Rückführung der Pflegekinder zu ihrer Herkunftsfamilie keine erneute Entwurzelung einhergeht, muss „das Risiko einer erneuten Trennung ganz besonders gewichtet werden... . Alle einschlägigen Studien bestätigen seit langem, dass mit mehrfachen Wechsel der Unterbringung das Risiko von allgemeinen Entwicklungsschädigungen dramatisch zunimmt und die Bindungs- und Beziehungsfähigkeit schwer beeinträchtigt oder sogar zerstört wird.“

Mit Rücksicht hierauf ist es notwendig, die Voraussetzungen der § 1632 Abs. 4 BGB und § 1682 BGB zu kennen.

II. Voraussetzungen des § 1632 Abs. 4 BGB

1. Minderjährige

Die Vorschrift des § 1632 Abs. 4 BGB erstreckt sich auf Minderjährige. Das sind Kinder, die noch nicht 14 Jahre alt sind (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII) und Jugendliche, die bereits 14 Jahre alt sind aber noch nicht das 18 Jahre vollendet haben (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII). Deren Staatsangehörigkeit ist rechtlich unerheblich. Deshalb unterliegen der Norm des § 1632 Abs. 4 BGB inländische und auch ausländische Minderjährige. Bedeutungslos ist ebenfalls, ob deren Eltern miteinander verheiratet sind oder nicht.

2. Verbleibensanordnung auf Antrag oder von Amts wegen

Die Verbleibensanordnung kann auf Antrag der Eltern, der Pflegeperson(en) oder von Amts wegen erfolgen. Die Verbleibensanordnung kann auch von jedermann beim Familiengericht angeregt werden. Auch der Verfahrensbeistand kann einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Rückführung eines Kindes aus der Pflegefamilie zu den leiblichen Eltern stellen.

Über den Wortlaut der Bestimmung hinaus (...)
 

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 02.10.2018 11:58
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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