Otto Schmidt Verlag

BGH 4.10.2018, III ZR 292/17

Entgeltanspruch eines Pflegeheimbetreibers bei vorzeitigem Heimwechsel des Bewohners

Der Zahlungsanspruch des Heimträgers besteht nur für die Tage, in denen sich der Pflegebedürftige tatsächlich im Heim aufhält. In Anwendung des Prinzips der Berechnung auf Tagesbasis ordnet § 87a Abs. 1 S. 2 SGB XI an, dass die Zahlungspflicht der Heimbewohner oder ihrer Kostenträger mit dem Tag endet, an dem der Heimbewohner aus dem Heim entlassen wird oder verstirbt. Nach seinem eindeutigen Wortlaut regelt die Vorschrift nicht allein die Zahlungspflicht des Kostenträgers, sondern erfasst ebenso die zivilrechtliche Vergütungspflicht des Heimbewohners.

Der Sachverhalt:

Der an Multiple Sklerose erkrankte Kläger ist auf die Unterbringung in einem Pflegeheim angewiesen und bezieht Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. Im Dezember 2013 wurde er in dem Pflegeheim des Beklagten untergebracht. Nach dem Wohn- und Betreuungsvertrag konnte der Bewohner das Vertragsverhältnis spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf desselben Monats schriftlich kündigen.

Ende Januar 2015 fand der Kläger einen Pflegeplatz in einem anderen, auf die Pflege von Multiple-Sklerose-Patienten spezialisierten Heim. Daraufhin kündigte er mit Schreiben vom 28.1.2015 den Wohn- und Betreuungsvertrag mit dem Beklagten zum 28.2.2015. Da in dem anderen Pflegeheim kurzfristig schon früher ein Platz frei wurde, zog der Kläger bereits am 14.2.2015 aus dem Heim des Beklagten aus und bezog am darauf folgenden Tag den neuen Pflegeplatz.

Der Beklagte stellte dem Kläger - nach Abzug der Leistungen der Pflegekasse für die erste Februarhälfte 2015 - Heimkosten für den gesamten Monat Februar 2015 i.H.v. 1.493 € in Rechnung, die der Kläger zunächst vollständig bezahlte. Da für die zweite Februarhälfte 2015 infolge des Auszugs aus dem Pflegeheim des Beklagten insoweit keine Sozialleistungen mehr erbracht wurden, verlangte der Kläger die Rückerstattung der Heimkosten, was der Beklagte jedoch ablehnte.

Der Kläger war der Ansicht, die Zahlung des Heimentgelts sei für die zweite Februarhälfte 2015 ohne Rechtsgrund erfolgt, da mit seinem Auszug am 14.2.2015 seine Zahlungspflicht entsprechend dem Grundsatz der taggenauen Abrechnung gem. § 87a Abs. 1 S. 2 SGB XI erloschen sei. AG und LG gaben der auf Rückzahlung der Heimkosten gerichteten Klage statt. Die Revision des Beklagten blieb vor dem BGH im Wesentlichen erfolglos.

Gründe:

Das Rechtsmittel hat nur Erfolg, soweit die Klageforderung auf zwei Berechnungsfehlern beruht (insgesamt 362,63 €). Im Übrigen ist die Revision unbegründet.

Der Beklagte hat das für die zweite Februarhälfte 2015 vereinnahmte Heimentgelt gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückzuerstatten. Die die Zahlungspflicht des Klägers endete nämlich mit dem Tag seines Auszugs am 14.2.2014 gem. § 87a Abs. 1 S. 2 SGB XI i.V.m. § 15 Abs. 1 WBVG. Als Empfänger von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung fällt der Kläger in den Anwendungsbereich des § 87a Abs. 1 SGB XI. Diese Norm, der das Prinzip der tagesgleichen Vergütung zugrunde liegt, bestimmt, dass die im Begriff des Gesamtheimentgelts zusammengefassten Zahlungsansprüche der Einrichtung für den Tag der Aufnahme des Pflegebedürftigen in das Pflegeheim sowie für jeden weiteren Tag des Heimaufenthalts auf den Tag genau berechnet werden.

Danach besteht der Zahlungsanspruch des Heimträgers nur für die Tage, in denen sich der Pflegebedürftige tatsächlich im Heim aufhält (Berechnungstage). In Anwendung des Prinzips der Berechnung auf Tagesbasis ordnet § 87a Abs. 1 S. 2 SGB XI an, dass die Zahlungspflicht der Heimbewohner oder ihrer Kostenträger mit dem Tag endet, an dem der Heimbewohner aus dem Heim entlassen wird oder verstirbt.

Nach seinem eindeutigen Wortlaut regelt § 87a Abs. 1 S. 2 SGB XI nicht allein die Zahlungspflicht des Kostenträgers, sondern erfasst ebenso die zivilrechtliche Vergütungspflicht des Heimbewohners. Es handelt sich um eine gegenüber den heimvertraglichen Bestimmungen des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes vorrangige Sonderregelung zugunsten von Heimbewohnern, die gleichzeitig Leistungsbezieher der Pflegeversicherung sind. Dieser Vorrang kommt darin zum Ausdruck, dass abweichende Vereinbarungen nichtig sind (§ 15 Abs. 1 S. 2 WBVG, § 87a Abs. 1 Satz 4 SGB XI).

Die Systematik des § 87a Abs. 1 SGB XI sowie die Entstehungsgeschichte und der daraus ableitbare Zweck des Gesetzes sprechen dafür, dass ein "Entlassen" i.S.d. § 87a Abs. 1 S. 2 Alt. 1 SGB XI auch dann vorliegt, wenn der Pflegebedürftige - nach einer Kündigung des Heimvertragsverhältnisses - vor Ablauf der Kündigungsfrist des § 11 Abs. 1 S. 1 WBVG endgültig auszieht. Dass der Begriff "Entlassen" auch den Umzug bzw. die Verlegung des Pflegebedürftigen in ein anderes Heim erfasst, erschließt sich aus der Regelung des § 87a Abs. 1 S. 3 SGB XI. Darin wird klargestellt, dass die Zahlungspflicht des Heimbewohners gegenüber dem bisherigen Pflegeheim nicht für den Umzugs-/Verlegungstag besteht und insofern ein Heimentgelt nur durch die aufnehmende Pflegeeinrichtung berechnet werden darf.

Infolgedessen bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass für die restlichen Tage des Monats, in dem der Auszugs-/Verlegungstag liegt, kein Entgelt mehr an das bisherige Pflegeheim zu zahlen ist, und zwar unabhängig davon, ob der Heimbewohner, der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung bezieht, die Kündigungsfrist des § 11 Abs. 1 S. 1 WBVG einhält. Der Regelung des § 87a Abs. 1 S. 5 bis 7 SGB XI über die Vergütungspflicht des Bewohners bei vorübergehender Abwesenheit vom Heim ist zu entnehmen, dass ein Vergütungsanspruch der Einrichtung (gegebenenfalls unter Berücksichtigung ersparter Aufwendungen) voraussetzt, dass der Pflegebedürftige das Heim nur vorübergehend i.S.v. § 87a Abs. 1 S. 5, 6 SGB XI verlässt (etwa wegen eines Krankenhausaufenthalts) und deshalb einen gesetzlichen Anspruch auf Freihaltung seines Pflegeplatzes hat.

Nach der üblichen Praxis der Heimträger werden die durch Leerstände verursachten Kosten im Rahmen der Auslastungskalkulation sowie durch gesonderte Wagnis- und Risikozuschläge in die Pflegesätze eingerechnet und anschließend anteilig auf die Heimbewohner umgelegt. Dies hat den Gesetzgeber veranlasst, den Zahlungsanspruch des Einrichtungsträgers bei Versterben oder bei einem Auszug des Heimbewohners auf den Tag der Beendigung der tatsächlichen Leistungserbringung zu begrenzen, weil ansonsten die Zeit des Leerstandes zulasten des Heimbewohners doppelt berücksichtigt würde.

Linkhinweise:
 

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 04.10.2018 12:16
Quelle: BGH PM Nr. 164 vom 4.10.2018

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