Otto Schmidt Verlag

OLG Frankfurt a.M. 16.10.2018, 1 UF 74/18

Beachtlichkeit von Kindeswohl und Kindeswille bei Änderung einer Entscheidung hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts

Hat das Familiengericht nach Trennung der Eltern den Aufenthalt eines Kindes einem Elternteil zugeordnet (Residenzmodell), müssen triftige Kindeswohlgründe vorliegen, um später eine Umgangsregelung im Sinne eines paritätischen Wechselmodells anzuordnen. Der Kindeswille stellt dabei nur einen von mehreren Gesichtspunkten bei der Ermittlung des Kindeswohls dar.

Der Sachverhalt:

Die Beteiligten waren verheiratet und haben drei Kinder. Nach der Trennung der Eltern übertrug das AG - Familiengericht - im Frühjahr 2014 im Rahmen eines Sorgerechtsverfahrens das Aufenthaltsbestimmungsrecht für alle drei Kinder der Mutter (sog. Residenzmodell). Die Mutter zog nachfolgend mit den fünf bzw. vier Jahre alten Kindern aus dem gemeinsamen Familienwohnhaus aus.

Im Sommer 2016 beantragte der Vater, die getroffene Entscheidung abzuändern und ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen. Das AG wies diesen Antrag nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zurück. Die Kinder hatten sich im Rahmen der Anhörung für einen künftigen Aufenthalt beim Vater ausgesprochen. Auf den hilfsweise gestellten Antrag des Vaters hin, jedenfalls ein sog. paritätisches Wechselmodell anzuordnen (wöchentlicher Wechsel der Kinder zwischen den getrennten Eltern), kam es zum hiesigen Umgangsverfahren.

Das AG lehnte die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells ab, ordnete jedoch einen "ausgedehnten Umgang" mit den Kindern an. Demnach sollten sie sich regelmäßig alle 14 Tage von Donnerstag 17 Uhr bis montags zum Schulbeginn bei ihm aufhalten. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Vaters hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die beim BGH anhängige Rechtsbeschwerde wird dort unter dem Az. XII ZB 512/18 geführt.

Die Gründe:

Es liegen keine triftigen, das Wohl der Betroffenen Kinder nachhaltig berührenden Gründe i.S.d. § 1696 Abs. 1 BGB für die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells vor.

Maßstab ist § 1696 Abs. 1 BGB, der sicherstellen soll, dass bereits getroffene gerichtliche Entscheidungen nur in engen Grenzen der Abänderung unterliegen, um dem Prognosecharakter jeder Kindeswohl orientierten Entscheidung einerseits und der Verbindlichkeit gerichtliche Entscheidungen andererseits Rechnung zu tragen. Folglich ist die im Rahmen des Sorgerechtsverfahrens getroffene Aufenthaltsbestimmung zu Gunsten der Mutter als Erstentscheidung auch im hiesigen Umgangsverfahren zugrunde zu legen. Die Voraussetzungen für eine Änderung dieser Erstentscheidung aus triftigen Gründen des Kindeswohls liegen nicht vor.

Zu berücksichtigen ist, dass kein grundsätzlich zu bevorzugendes Betreuungsmodell existiert. Jede Umgangsentscheidung muss sich im Einzelfall nach den allgemeinen Kindeswohlkriterien ausrichten. Hierzu zählen die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes an die Eltern, die Bindungstoleranz, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie der Kindeswille. Der Kindeswille stellt damit nur eine von mehreren Gesichtspunkten bei der Ermittlung des Kindeswohls dar. Es muss stets die Verträglichkeit der vom Kind gewünschten Lösung mit seinem Wohl geprüft werden. Dabei hat ein nachdrücklicher und beständig geäußerter Kindeswille in der Regel ein höheres Gewicht als ein schwankender, unentschlossener Wille. Auch zunehmendes Alter und Einsichtsfähigkeit erlangen Bedeutung. Mindestanforderung an den Kindeswillen ist jedoch insbesondere die Autonomie des Willens.

Vorliegend haben die Kinder zwar wiederholt und in verschiedenen Anhörungssituationen geäußert, im Haushalt des Vaters leben zu wollen. Nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen ist aber davon auszugehen, dass der Wille der Kinder nicht autonom gebildet wurde. Den sachverständigen Ausführungen nach fällt es dem Vater schwer, seine Bedürfnisse von den Bedürfnissen der Kinder zu trennen. Dies bewirkt, dass die Kinder durch ihre Reaktion auf seine Bedürfnisse nicht ihre eigenen Bedürfnisse erleben, sondern vielmehr lernen, sich in die Bedürfnisse des Vaters einzufinden und danach zu reagieren. Darüber hinaus assoziieren die Kinder hauptsächlich die Vorzüge des Wohnens (Haus, Garten, Spielmöglichkeiten, Haustier) mit einem Lebensmittelpunkt beim Vater. Soweit eine emotionale Bindung zum Vater nicht verkannt werden kann, ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass sich starke Beeinflussungs- oder gar Instrumentalisierungstendenzen des Vaters gezeigt haben.

Linkhinweis:

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.11.2018 12:01
Quelle: OLG Frankfurt a.M. PM Nr. 54 vom 14.11.2018

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