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Aktuell im FamRB

Ausgewählte Rechtsprechung im Betreuungs- und Unterbringungsrecht des Jahres 2018 - Materielles Recht (Hergenröder, FamRB 2019, 325)

Der Beitrag beinhaltet eine Darstellung ausgewählter und praxisrelevanter Entscheidungen, die im Veröffentlichungszeitraum 2018 zum Betreuungs- und Unterbringungsrecht ergangen sind. Im Anschluss an den ersten Teil des Beitrags, der sich mit dem Verfahrensrecht in Betreuungs- und Unterbringungssachen befasst hat (FamRB 2019, 282), konzentriert sich der zweite Teil des Beitrags auf Entscheidungen zum materiellen Recht.


I. Betreuungsrecht

1. Betreuung gegen freien Willen, § 1896 Abs. 1a BGB

2. Erforderlichkeit der Betreuung, § 1896 Abs. 2 BGB

3. Kontrollbetreuung, § 1896 Abs. 3 BGB

4. Betreuerauswahl – Vorschlag des Betreuten, § 1897 BGB

5. Vertretung des Betreuten, § 1902 BGB

6. Einwilligungsvorbehalt, § 1903 Abs. 1 BGB

7. Patientenverfügung und Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen, § 1901a, § 1904 BGB

II. Unterbringungsrecht

1. Alkoholismus als psychische Krankheit bzw. geistige oder seelische Behinderung, § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB

2. Gefährdungsbegriff, § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB

3. Unterbringung zur Heilbehandlung, § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB

4. Fixierung, § 1906 Abs. 4 BGB

5. Zwangsmaßnahmen, § 1906a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB

III. Ausblick

 

I. Betreuungsrecht

1. Betreuung gegen freien Willen, § 1896 Abs. 1a BGB

BGH v. 31.10.2018 – XII ZB 552/17, FamRZ 2019, 239 Das AG verlängerte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, demzufolge die freie Willensbildung des Betroffenen „erheblich eingeschränkt“ sei, die Betreuung gegen den Willen des Betroffenen, wogegen sich dieser mit der Rechtsbeschwerde wendet.

Der BGH stellt in seiner Entscheidung zunächst klar, dass der in § 1896 Abs. 1a BGB verankerte Grundsatz des Verbots der Betreuerbestellung gegen den freien Willen des Betroffenen auch im Verlängerungsverfahren gilt. Ein freier Wille liegt vor, sofern der Betroffene sowohl einsichtsfähig als auch in der Lage ist, nach dieser Einsicht zu handeln. Dem Betroffenen muss es möglich sein, für und wider sprechende Aspekte einer Betreuung zu erfassen und abzuwägen, was insbesondere eine in den wesentlichen Punkten realitätsgetreue Einschätzung der eigenen krankheitsbedingten Defizite voraussetzt. Weiter ist es erforderlich, dass der Betroffene aufgrund der gewonnenen Einsicht handeln und sich hierbei von den Einflüssen dritter Personen abgrenzen kann. Um einen Ausschluss der freien Willensbildung festzustellen, ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens vonnöten. Lässt sich diesem lediglich eine „erhebliche Einschränkung“ der freien Willensbildung entnehmen, kann allein daraus nicht geschlossen werden, dass der Betroffene zu einer freien Willensbestimmung im Hinblick auf eine Ablehnung der Betreuung unfähig ist.

Beraterhinweis Die Beachtung des freien Willens des Betroffenen als Voraussetzung der Einrichtung einer Betreuung ist Ausfluss der Achtung der personalen Würde und des Selbstbestimmungsrechts und somit auch in der täglichen betreuungsrichterlichen Praxis ein sensibles Thema. Prozessual stellt sich § 1896 Abs. 1a BGB als Einwendung dar, die Gegenstand einer förmlichen Beweisaufnahme sein muss und somit die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich macht, sofern der freie Wille des Betroffenen verneint werden soll. Auch bei der Einrichtung einer Kontrollbetreuung ist § 1896 Abs. 1a BGB zu beachten.

2. Erforderlichkeit der Betreuung, § 1896 Abs. 2 BGB

BGH v. 31.1.2018 – XII ZB 527/17, FamRZ 2018, 623: Die Betroffene erteilte sowohl ihrer Tochter als auch ihrer Schwiegertochter eine notarielle General- und Altersvorsorgevollmacht, die nur gemeinschaftlich ausgeübt werden kann. Die Tochter beantragte nach Auftreten einer Demenzerkrankung bei der Betroffenen die Anordnung einer Betreuung bzw. einer Kontrollbetreuung mit der Begründung, die Schwiegertochter treffe Entscheidungen zu Fragen von Gesundheit und Finanzen der Betroffenen stets allein und bereichere sich auf Kosten der Betroffenen. Sowohl das AG als auch das LG lehnten eine Betreuerbestellung ab. Hiergegen richtet sich die Tochter erfolgreich mit ihrer Rechtsbeschwerde.

Der BGH führt in seiner Entscheidung aus, dass eine Vorsorgevollmacht der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegensteht, da es in der Regel an der Erforderlichkeit i.S.v. § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB fehlt. Allerdings sollen gemeinschaftlich Bevollmächtigte nur dann die Angelegenheiten des Betroffenen gem. § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB ebenso gut wie ein Betreuer besorgen können, wenn tatsächlich eine gemeinschaftliche Vertretung realisierbar ist, wozu ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit zwischen den Bevollmächtigten erforderlich ist. Dieses notwendige Einvernehmen zeigt sich in Gestalt einer Zusammenarbeit und Abstimmung der Bevollmächtigten untereinander.

Beraterhinweis Aus der geschilderten Entscheidung lässt sich für die gerichtliche Praxis (...)
 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.08.2019 14:54
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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