Otto Schmidt Verlag

FG Hamburg v. 5.7.2019 - 6 K 215/18

Kein inländischer Wohnsitz bei einem serbischen Schulkind

Wird ein Kind bereits zu Beginn des 1. Schuljahres zu den Großeltern ins Ausland geschickt, um dort mindestens zehn Jahre zur Schule zu gehen, genügt es nicht für die Beibehaltung eines inländischen Wohnsitzes, wenn das Kind die Eltern in den Schulferien für insgesamt ca. 3,5 Monate im Jahr besucht und wenn es keine besonderen Indizien für eine feste soziale Bindung an Deutschland gibt. Hierbei können auch mangelhafte deutsche Sprachkenntnisse Bedeutung erlangen.

Der Sachverhalt:
Die beiden Söhne des Klägers sind seit der 1. Klasse in Serbien zur Schule gegangen, d.h. ab 2006 bzw. ab 2008. Der Kläger hatte die Schulbehörde über den Wegzug informiert und eine Befreiung von der Schulpflicht beantragt, was auch geschah. Während der Schulzeit lebten die Kinder bei ihrer Großmutter in Serbien und wurden von dieser versorgt. Die serbischen Schulferien verbrachten beide Kinder bei ihren Eltern in Deutschland. Der Kläger wohnt zusammen mit seiner Frau und seinen Schwiegereltern in einer Vierzimmerwohnung. In dieser Wohnung befinden sich ein Kinderzimmer, ein Wohnzimmer und zwei Schlafzimmer.

In der Kindergeldakte befindet sich keine Mitteilung des Klägers über den Wegzug der Kinder. Der Kläger teilte im Oktober 2013 der Familienkasse mit, dass sich seine Kontoverbindung geändert habe. In diesem Zusammenhang teilte er aber keine Veränderung des Wohnsitzes der Kinder mit. Erst 2017 erfuhr die Familienkasse, dass die Söhne in Serbien wohnten. Der Kläger behauptete dennoch, dass seine Söhne weiterhin in Deutschland wohnhaft seien und sie lediglich in Serbien die Schule besuchten.

Im April 2018 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung gem. § 70 Abs. 2 EStG ab September 2010 auf und forderte bereits gezahltes Kindergeld bis März 2017 i.H.v. 29.360 € zurück. Das FG gab der Klage teilweise statt.

Die Gründe:
Die Kinder des Klägers hatten im streitigen Zeitraum weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so dass dem Kläger während des gesamten streitigen Zeitraums kein Kindergeld zustand.

Beide Söhne des Klägers sind zwar in Deutschland geboren, auch haben sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Bei der Beurteilung dieser Tatfrage kommt es aber vor allem auf Gesichtspunkte wie Lebensalter des Kindes, Anpassung an die deutschen Lebensverhältnisse, Dauer des Auslandsaufenthalts bzw. dessen von vorne herein bestehende zeitliche Begrenzung, Art der Unterbringung im Ausbildungsland und Verfügbarkeit von Wohnraum im inländischen Elternhaus an. Bei der danach vorzunehmenden Abwägung sprechen vorliegend mehr Beweisanzeichen dafür, dass die Kinder ihren Wohnsitz im Inland ab dem Schulbeginn in Serbien aufgegeben haben, als dafür, dass sie ihn beibehalten hätten.

Die jährlichen Aufenthalte der Kinder von ca. 3,5 Monaten während der Schulferien ändern an diesem Ergebnis nichts. Solche Aufenthalte während der Schulferien kommen nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleich, bewirken kein zwischenzeitliches Wohnen in der elterlichen Wohnung und haben lediglich Besuchscharakter. Hierbei können auch mangelhafte deutsche Sprachkenntnisse Bedeutung erlangen. Der BFH (Urt. v. 23.6.2015 - III R 38/14) hat zwar in jüngerer Zeit entschieden, dass Kinder, die sich zum Zwecke des Studiums für mehrere Jahre ins Ausland begeben, ihren Wohnsitz bei den Eltern im Inland beibehalten, wenn sie diese Wohnung zumindest überwiegend in den ausbildungsfreien Zeiten nutzen und dass diese Voraussetzung erfüllt ist, wenn das FG feststellen kann, dass sie mehr als 50 % und damit den überwiegenden Teil der ausbildungsfreien Zeit im Inland verbringen. Diese Rechtsprechung ist aber auf minderjährige Schulkinder, die bereits zu Beginn ihrer Schulpflicht bis zum Erreichen des Abiturs in das Heimatland der Eltern gehen und dort bei den Großeltern aufwachsen, nach der Überzeugung des Gerichts nicht anwendbar.

Für die Jahre bis einschließlich 2013 war jedoch im Zeitpunkt des Aufhebungsbescheides im April 2018 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten, so dass die Kindergeldfestsetzung für Dezember 2010 und die Jahre 2011, 2012 und 2013 nicht mehr aufgehoben und das für diese Monate gezahlte Kindergeld nicht zurückgefordert werden konnte. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO liegen nicht vor. Nach den Ausführungen des Klägers im Erörterungstermin ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger nicht vorsätzlich gehandelt hat.

Auch eine leichtfertige Steuerverkürzung liegt nicht vor. Für eine solche wäre die Erkenntnis der Entscheidungsrelevanz des nicht mitgeteilten Umstandes für die Fortdauer des Kindergeldanspruchs erforderlich. In Anbetracht der Komplexität der Rechtsprechung zur Beibehaltung des Wohnsitzes mit Einzelfallwürdigung kann es, jedoch nicht als grob fahrlässig gesehen werden, dass der Kläger von einer Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes ausgegangen ist, weil seine Kinder jedes Jahr insgesamt mehr als drei Monate sich in der elterlichen Wohnung aufgehalten haben. Ist aber die Nichterkenntnis der Relevanz nicht leichtfertig, ist es die Unterlassung der Mitteilung auch nicht.

Linkhinweis:

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.09.2019 15:38
Quelle: Justizportal Hamburg

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