Otto Schmidt Verlag

BGH v. 16.10.2019 - XII ZB 341/17

Bemessung des eheangemessenen Selbstbehalts ist Aufgabe des Tatrichters

Die Bemessung des eheangemessenen Selbstbehalts ist Aufgabe des Tatrichters. Dabei ist es diesem nicht verwehrt, sich an Erfahrungs- und Richtwerte anzulehnen, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände eine Abweichung gebieten. Die Erfahrungs- und Richtwerte können dabei auch eine Differenzierung zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen vorsehen.

Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten um Abänderung eines gerichtlichen Vergleichs über nachehelichen Unterhalt ab Oktober 2016. Aus der 1980 geschlossenen Ehe der Beteiligten sind zwei 1981 und 1984 geborene Töchter hervorgegangen. Die Beteiligten trennten sich am im August 2007; seit Januar 2009 ist ihre Ehe rechtskräftig geschieden. Der im Mai 1953 geborene Antragsteller war seit September 1970 durchgehend als Angestellter im öffentlichen Dienst vollschichtig erwerbstätig. Er ist alkoholkrank und leidet an diversen weiteren Erkrankungen, was zu einem Grad der Behinderung von 70 geführt hat. Seit Oktober 2016 bezieht er vorgezogene ungekürzte Altersrente (DRV Bund) i.H.v. mtl. rd. 1.830 € sowie eine Zusatzrente der Rheinischen Versorgungskasse i.H.v. mtl. rd. 420 €. Den Wohnwert seiner von ihm bewohnten Eigentumswohnung haben die Beteiligten mit 400 € unstreitig gestellt.

Die im Juni 1957 geborene Antragsgegnerin besuchte bis 1972 die Hauptschule und absolvierte dann eine Ausbildung zur Uhren- und Schmuckfachverkäuferin. In diesem Beruf war sie bis März 1979 beschäftigt. Danach arbeitete sie in einem Tabakgeschäft. Im Februar 1980 erkrankte sie und ab Juli 1980 war sie arbeitslos. Im September 1980 arbeitete sie nochmals einen Monat als Verkäuferin, bevor sie noch vor der Eheschließung wiederum erkrankte und dann schwanger wurde. Mit Ausnahme des Zeitraums von Oktober 1991 bis Juni 1993, in dem sie als geringfügig beschäftigte Verkäuferin tätig war, arbeitete sie danach nicht mehr, zunächst wegen der Betreuung und Erziehung der Kinder und später krankheitsbedingt. Auch sie ist alkoholkrank und krankheitsbedingt dauerhaft vollständig erwerbsunfähig, ohne die sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente zu erfüllen.

Seit der Trennung zahlte der Antragsteller der Antragsgegnerin dauerhaft Unterhalt. Im November 2011 schlossen die Beteiligten vor dem AG einen Vergleich, in dem sich der Antragsteller auf der Grundlage eines unterhaltsrelevanten Einkommens von rd. 2.420 € (inklusive Wohnvorteil) verpflichtete, an die Antragsgegnerin ab Dezember 2011 nachehelichen Unterhalt i.H.v. mtl. 1.600 € zu zahlen, in dem Krankenvorsorgeunterhalt i.H.v. 210 € und Altersvorsorgeunterhalt i.H.v. rd. 300 € enthalten war. Der Antragsteller begehrt eine Abänderung des Unterhaltsvergleichs dahingehend, dass er ab Oktober 2016 nur noch nachehelichen Unterhalt i.H.v. mtl. rd. 610 € schuldet und der Unterhalt ab Juni 2021 insgesamt entfällt.

Das AG wies den Antrag ab. Das OLG änderte den Vergleich dahingehend ab, dass sich der nacheheliche Unterhalt ab Oktober 2016 auf mtl. rd. 1.560 € und ab Januar 2017 auf rd. 1.560 € beläuft; im Übrigen wies es die Beschwerde zurück. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist das OLG zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass der Abänderungsantrag nur in ganz geringem Umfang Erfolg hat. Die Rechtsbeschwerde übergeht im Ansatz, dass sich das für den Ehegattenunterhalt relevante Einkommen des Antragstellers gegenüber dem Vergleichsabschluss nur unwesentlich verändert hat, weil zwischenzeitlich und mit dem Rentenbezug Abzugsposten des Antragstellers i.H.v. insgesamt rd. 1.300 € entfallen sind.

Die Abänderung eines Prozessvergleichs gem. § 239 Abs. 2 FamFG richtet sich nach der Rechtsprechung des Senats allein nach materiell-rechtlichen Kriterien. Dabei ist - vorrangig gegenüber einer Störung der Geschäftsgrundlage - durch Auslegung zu ermitteln, ob und mit welchem Inhalt die Beteiligten eine insoweit bindende Regelung getroffen haben. Dass das OLG eine Abänderung des Vergleichs unter dem Gesichtspunkt der vom Antragsteller geltend gemachten Belastungen an Hausgeld und Grundsteuer abgelehnt hat, ist schon danach nicht zu beanstanden. Die Auslegung von Verträgen ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist es nicht zu beanstanden, dass das OLG im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Antragsgegners dessen angemessenen Selbstbehalt nach Nr. 21.4 der Leitlinien des OLG Hamm mit 1.090 € für einen nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen (gegenüber 1.200 € für einen Erwerbstätigen) angesetzt hat. Die Leistungsfähigkeit des Antragstellers ergibt sich aus seinen Einkünften abzüglich eines ihm zu belassenden Selbstbehalts. Eine Unterhaltspflicht besteht jedenfalls dann nicht, wenn der Unterhaltsschuldner infolge einer solchen Pflicht selbst sozialhilfebedürftig würde. Denn dem Unterhaltspflichtigen muss schon aus verfassungsrechtlichen Gründen jedenfalls der Betrag verbleiben, der seinen eigenen Lebensbedarf nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen sicherstellt. Die finanzielle Leistungsfähigkeit endet deswegen jedenfalls dann, wenn der Unterhaltspflichtige nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern. Bei der Bemessung des Selbstbehalts, die nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters ist, sind zusätzlich die gesetzlichen Vorgaben zu beachten, die sich insbesondere aus dem Wesen der Unterhaltspflicht ergeben.

Auf die weiter von der Rechtsbeschwerde erhobene Rüge, in Nr. 21.4 der Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm werde zu Unrecht zwischen dem eheangemessenen Selbstbehalt für Nichterwerbstätige (1.090 €) und für Erwerbstätige (1.200 €) differenziert, kommt es nach der umfassenden Prüfung des OLG in der angefochtenen Entscheidung nicht an. Zwar trifft es zu, wie die Rechtsbeschwerde vorträgt, dass diese Differenzierung über die Leitlinien des OLG Hamm hinaus gegenwärtig nur von den OLG's Frankfurt, Braunschweig, Celle, Hamm, Karlsruhe, Stuttgart und dem 2. und dem 6. Zivilsenat des OLG Zweibrücken vorgenommen wird, während die überwiegende Zahl der Leitlinien der OLG's eine solche Differenzierung beim Ehegattenunterhalt ablehnt.

Indessen hat der Senat bereits wiederholt entschieden, dass ein erhöhter Selbstbehalt des Erwerbstätigen im Rahmen der Leistungsfähigkeit - wie der Erwerbstätigenbonus im Rahmen der Bedarfsbemessung - die Fortführung der Erwerbstätigkeit honoriert. Ist der Unterhaltspflichtige allerdings nicht erwerbstätig, entfällt auch diese Rechtfertigung. Soweit der Tatrichter im Rahmen der Leistungsfähigkeit auch beim Ehegattenunterhalt eine entsprechende Differenzierung vornimmt, ist dies daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Linkhinweis:

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.11.2019 15:50
Quelle: BGH online

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