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Das rühmliche Ende des Elternunterhalts (Hauß, FamRB 2020, 76)

Man kann das am 1.1.2020 in Kraft getretene Angehörigen-Entlastungsgesetz als einen wichtigen familienrechtlichen Meilenstein sehen: Es leitet die Entfamiliarisierung gesellschaftlicher Risiken ein, die von den „Blutsverwandten“ nicht zu verantworten sind. Für Siechtum, Altern, Krankheit und andere Gründe, den eigenen Unterhaltsbedarf nicht erwirtschaften zu können, können diese in der Regel nichts. Sie von diesen Risiken zu entlasten, steht deshalb einem zeitgemäßen Gemeinwesen gut an. Das Angehörigen-Entlastungsgesetz bewirkt in diesem Sinn große Umwälzungen auch beim Elternunterhalt. Eine Inanspruchnahme unterhaltspflichtiger Kinder ist nunmehr erst ab einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 € möglich.

1. Änderungen durch das Angehörigen-EntlastungsG

2. Berechnung und Bedeutung der Jahreseinkommensgrenze

3. Selbstbehaltserhöhung auf 5.000 €

4. Der Umgang mit dem erhöhtem Selbstbehalt

5. Das Ende des laufenden Elternunterhalts

6. Wo bleibt das Vermögen?

7. Die Unterschreitensvermutung

8. Das unrühmliche Ende der Schenkungsrevokation

9. Fazit und Zusammenfassung


1. Änderungen durch das Angehörigen-EntlastungsG

Ab 1.1.2020 – mit Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes – können all diejenigen, die bislang Elternunterhalt an den Sozialhilfeträger gezahlt oder sich an den Pflegeheimkosten bzw. sonst am Unterhalt ihrer Eltern beteiligt haben, ihre Zahlungen einstellen. Ob für sozialhilfebedürftige Eltern Unterhalt zu zahlen sein wird, entscheidet sich zukünftig erst am Jahresende. Nur, wenn das Einkommen eines Kalenderjahres über 100.000 € brutto beträgt, ist Unterhalt zu zahlen. Bei Unterschreiten der Jahreseinkommensgrenze sind Kinder sozialhilfebedürftiger Eltern auch für solche Monate von der Unterhaltspflicht befreit, in denen ihr Einkommen 1/12 der Jahreseinkommensgrenze überschritten hat. Es kommt nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nur auf das Jahreseinkommen an und nicht auf das Einkommen der letzten 12 Monate.

Das ist in vielerlei Hinsicht für Familienrechtler ungewohnt und muss erst mental und praktisch eingeübt werden, zumal sich an den Normen und Grundsätzen des familienrechtlichen Unterhaltsrechts nichts geändert hat:

  • Unterhalt wird für Monatszeiträume geschuldet (§ 1612 Abs. 3 BGB). Eine familienrechtliche Unterhaltspflicht entsteht, wenn der Bedarf einer unterhaltsberechtigten Person aus deren eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnissen nicht zu decken ist. Unterhaltsrechtlich ist derjenige leistungsfähig, dessen Einkommen im Bedarfszeitraum seinen angemessenen Selbstbehalt übersteigt (§ 1610 Abs. 1 BGB). Die Ausdehnung des für die Bemessung unterhaltsrechtlicher Leistungsfähigkeit maßgeblichen Zeitraums auf ein Jahr harmoniert nicht mit der zivilrechtlichen Unterhaltssystematik.
  • Die Einführung einer Brutto-Jahreseinkommensgrenze von 100.000 €, deren Überschreiten erst zu einer unterhaltsrechtlichen Heranziehung führt, schafft eine Rechtsfolgengleichheit für völlig unterschiedliche Sachverhalte. Dies liegt daran, dass dem Unterhaltsrecht die Anknüpfung an Bruttoeinkünfte völlig fremd ist. Unterhaltsrecht ist Liquiditätsrecht. Ein Bruttoeinkommen von 100.000 € pro Jahr bedeutet für den Beamten ein Nettoeinkommen von ca. 5.000 €, den Angestellten von ca. 4.700 € und den Selbständigen – bei Berücksichtigung von Altersvorsorgerückstellungen in Höhe des gesetzlichen Umfangs – von ca. 3.700 €. Will man nicht völlig willkürliche unterhaltsrechtliche Folgen produzieren, muss dies zu einer drastischen Anhebung der Selbstbehalte führen. Es wäre nicht verständlich, wenn die sozialrechtliche Grenzziehung das unterhaltsrechtlich gebotene Gleichbehandlungsgebot durchbrechen würde. Ließe man alles beim Alten und ...
     


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.02.2020 14:30
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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