Otto Schmidt Verlag

BGH v. 25.9.2019 - XII ZB 29/18

Europäische Unterhaltsverordnung: Einleitung des Verfahrens i.S.v. Art. 75 Abs. 1 EuUnthVO

Für die Einleitung des Verfahrens i.S.v. Art. 75 Abs. 1 EuUnthVO ist hinsichtlich der Vollstreckbarkeit eines gerichtlichen Titels auf die Maßnahme abzustellen, die das Verfahren auf Erlass des zu vollstreckenden Titels in Gang gesetzt hat. Ist der Titel nach dem Recht des Ausgangsstaates nur auf Antrag zu errichten, kommt es auf den Zeitpunkt der Antragstellung an. Dass das Verfahren (hier: Verfahren auf Sicherung des Kindesunterhalts während des Scheidungsverfahrens nach polnischem Recht) im notwendigen Verbund mit der Scheidungssache steht, steht seiner Eigenständigkeit jedenfalls dann nicht entgegen, wenn es auf Errichtung eines selbständigen Vollstreckungstitels gerichtet ist, der sich auf einen vom Gegenstand der Hauptsache verschiedenen Streitgegenstand bezieht.

Der Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten über die Vollstreckbarkeit eines polnischen Titels zum Kindesunterhalt. Die Antragsteller sind die minderjährigen Kinder des Antragsgegners. Zwischen der Kindesmutter und dem Antragsgegner war in Polen am Bezirksgericht Warschau seit 2010 ein Scheidungsverfahren anhängig.

Auf Antrag der Kindesmutter vom 28.12.2011 erließ das Bezirksgericht in jenem Verfahren am 5.1.2012 einen Beschluss, nach dem der Antragsgegner zu Gunsten der Antragsteller zu Händen der Kindesmutter "für den Zeitraum der laufenden Verhandlung" Unterhalt von je 1.000 Zloty mtl. zu zahlen hat. Im Scheidungsurteil des Bezirksgerichts vom 16.4.2013 wurde der Antragsgegner zu einem (nachehelichen) Unterhalt von 1.000 Zloty mtl. für jedes Kind verpflichtet.

Die Antragsteller haben beantragt, den Beschluss des Bezirksgerichts vom 5.1.2012, wegen zwischenzeitlicher Rechtskraft der Scheidung begrenzt auf den Zeitraum bis zum 16.5.2013, im Inland für vollstreckbar zu erklären.

Das AG gab den Anträgen statt. Das OLG wies sie zurück, weil der Titel ohne Exequatur vollstreckbar sei. Die Rechtsbeschwerden der Antragsteller blieben vor dem BGH ohne Erfolg

Die Gründe:
Das OLG ist mit Recht davon ausgegangen, dass es zur Vollstreckung des Beschlusses des Bezirksgerichts vom 5.1.2012 im Inland nach Art. 17 Abs. 2 EuUnthVO keiner Vollstreckbarerklärung bedarf.

Nach Art. 75 Abs. 1 EuUnthVO findet die EuUnthVO vorbehaltlich Art. 75 Abs. 2 und 3 EuUnthVO nur auf ab dem Datum ihrer Anwendbarkeit eingeleitete Verfahren, gebilligte oder geschlossene gerichtliche Vergleiche und ausgestellte öffentliche Urkunden Anwendung. Der Tag der (erstmaligen) Anwendbarkeit der EuUnthVO ist gem. Art. 76 Unterabs. 3 EuUnthVO der 18.6.2011. Für die Einleitung des Verfahrens ist auf das dem zu vollstreckenden Titel vorausgegangene Verfahren abzustellen. Das dem Beschluss des Bezirksgerichts vom 5.1.2012 vorausgegangene Verfahren ist in diesem Sinne erst mit dem darauf bezogenen Antrag vom 28.12.2011 eingeleitet worden. Da schon der Antrag nach Inkrafttreten der EuUnthVO datiert, kommt es nicht darauf an, ob auf die Einreichung oder die Zustellung des Antrags abzustellen ist.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann für die Einleitung des Verfahrens i.S.v. Art. 75 Abs. 1 EuUnthVO nicht auf die Einleitung des Scheidungsverfahrens abgestellt werden. Insbesondere hat der Antrag auf Scheidung noch nicht das hier gegenständliche Verfahren auf Sicherung des Kindesunterhalts für die Zeit vor der Scheidung eingeleitet. Dass das Verfahren (hier: Verfahren auf Sicherung des Kindesunterhalts während des Scheidungsverfahrens nach polnischem Recht) im notwendigen Verbund mit der Scheidungssache steht, steht seiner Eigenständigkeit jedenfalls dann nicht entgegen, wenn es auf Errichtung eines selbständigen Vollstreckungstitels gerichtet ist, der sich auf einen vom Gegenstand der Hauptsache verschiedenen Streitgegenstand bezieht.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.11.2019 10:11
Quelle: BGH online

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