Otto Schmidt Verlag

OLG München v. 12.11.2019 - 31 Wx 183/19

Zur Auslegung eines Testaments

Bedenken die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament die gemeinsamen Kinder als Schlusserben und fehlt eine Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten für den ersten Erbfall, bildet die Verwendung der Begriffe "nach unserem Tod" und "wir" keine hinreichende Andeutung für einen entsprechenden Willen der Ehegatten für eine Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten.

Der Sachverhalt:
Die verheiratete Erblasserin war am 22.8.2018 verstorben. Sie hinterließ ihren Ehemann und die beiden gemeinsamen Kinder. Die Ehegatten hatten am 10.8.2002 ein von ihnen eigenhändig ge- und unterschriebenes Testament errichtet, in dem es auszugsweise hieß:

"Wir (Ehemann) geb. am (…) und (Ehefrau) geb. am (…) wollen, dass nach unserem Tod unser Sohn das Haus bekommt.

Er muss aber unserer Tochter 35% ausbezahlen. Wenn noch Geld vorhanden ist, bekommt jedes die Hälfte.

Der Sohn bekommt die Münzen und Vaters Sachen.
Die Tochter bekommt Schmuck, Puppen, Handarbeiten, Kaffee- und Speiseservice, Silber-Besteck.
(Unterschriften)"


Auf der Grundlage dieses Testaments beantragte der Ehemann beim Nachlassgericht einen Alleinerbschein, was dieses allerdings ablehnte. Es war der Ansicht, dass das fragliche Testament keine Regelung für den ersten Erbfall enthalte. Die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb vor dem OLG erfolglos.

Die Gründe:
Der Beschwerdeführer hat die Erblasserin aufgrund Testaments vom 10.8.2002 nicht allein beerbt. Soweit er meinte, eine Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten für den ersten Erbfall ergebe sich durch Auslegung der Verfügung, so traf dies nicht zu.

Bedenken die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament die gemeinsamen Kinder als Schlusserben und fehlt - wie hier - eine Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten für den ersten Erbfall, bildet die Verwendung der Begriffe "nach unserem Tod" und "wir" keine hinreichende Andeutung für einen entsprechenden Willen der Ehegatten für eine Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten. Das Nachlassgericht kann einen entsprechenden Willen der Ehegatten bei der Errichtung der Verfügung unterstellen, ohne diesen zuvor im Wege der Beweisaufnahme zu ermitteln, wenn es für den unterstellten Willen im Testament keine hinreichende Andeutung zu erkennen vermag.

Eine Erbeinsetzung, die in dem Testament nicht enthalten und nicht einmal angedeutet ist, kann den aufgeführten Formzwecken nicht gerecht werden. Sie ermangelt der gesetzlich vorgeschriebenen Form und ist daher gem. § 125 S. 1 BGB nichtig. Auch wenn Ehegatten sich üblicherweise gegenseitig selbst bedenken, stellt diese Tatsache keinen ausreichenden Anhalt für eine gegenseitige Erbeinsetzung dar. Die gegenseitige Erbeinsetzung kann daher nicht allein aufgrund der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testamentes angenommen werden.

Dass die Abwicklung des ersten Erbfalls dadurch schwierig ist, rechtfertigt ebenfalls keine andere Entscheidung. Denn es ist weder die Aufgabe der Nachlassgerichte, noch der diesen nachfolgenden Beschwerdegerichte, im Wege der Auslegung unterbliebene Verfügungen zu kreieren, um eine praktisch erscheinende Abwicklung von Erbfällen zu ermöglichen.
 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.12.2019 16:22
Quelle: Bayern.Recht

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