Otto Schmidt Verlag

BGH v. 12.12.2019 - III ZR 198/18

Zur Subsidiarität der Parteivernehmung nach § 448 ZPO

Eine Parteivernehmung von Amts wegen kommt nur in Betracht, wenn zuvor alle angebotenen Beweismittel ausgeschöpft worden sind und keinen vollständigen Beweis erbracht haben. Weiterhin muss die beweisbelastete Partei alle ihr zumutbaren Zeugenbeweise angetreten haben. Dagegen ist es zur Wahrung der Subsidiarität der Parteivernehmung nach § 448 ZPO nicht erforderlich, dass die beweisbelastete Partei eine im Lager des Prozessgegners stehende Person als Zeugen benennt. Erst recht muss sie nicht die Parteivernehmung des Gegners beantragen.

Der Sachverhalt:
Die Kläger nehmen als Erben den Beklagten wegen Barabhebungen und Überweisungen von Konten des Erblassers in Anspruch. Die Kläger sind Nichte und Neffe der im Mai 2015 vorverstorbenen I.W., die mit dem im Oktober 2015 verstorbenen Erblasser W.W. kinderlos verheiratet war. Die Eheleute hatten sich durch gemeinschaftliches notarielles Testament gegenseitig als Alleinerben und die Kläger als Schlusserben zu gleichen Teilen eingesetzt. Der Beklagte war Nachfolger des Erblassers als Chef der Wertpapierabteilung einer örtlichen Bankfiliale und mit den Eheleuten seit Jahren befreundet.

In der Zeit zwischen Januar und Oktober 2015 hob der Beklagte sukzessive unter Benutzung der zugehörigen EC-Karten und PIN-Nummern Bargeld von Konten des Erblassers und seiner Ehefrau an Geldautomaten ab. Hierzu hat er vorinstanzlich u.a. vorgetragen, auf Wunsch des Erblassers dem Kläger zu 2) am 18.6. und am 21.10.2015 jeweils 20.000 € und am 28.10.2015 weitere 23.600 € in einem Briefumschlag und zwei Geldtaschen übergeben zu haben. Die Kläger haben zuletzt behauptet, dass sich in dem Briefumschlag und den Geldtaschen jeweils nur Unterlagen befunden hätten. Außerdem veranlasste der Beklagte Überweisungen an Dritte von einem Konto des Erblassers.

Das LG wies die auf Rückzahlung sämtlicher abgehobenen und überwiesenen Beträge gerichtete Klage ab. Das OLG gab der Klage überwiegend statt und verurteilte den Beklagten zur Zahlung von rd. 60.500 €. Im Übrigen wies es die Klage ab, soweit sie die Überweisungen an Dritte und einen bar abgehobenen Teilbetrag betrifft. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das OLG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte für seine Behauptung, er habe auf Wunsch des Erblassers insgesamt 63.600 € in bar, also mehr als den zugesprochenen Betrag, an den Kläger zu 2) übergeben, beweispflichtig ist. Jedoch ist seine Annahme, der Beklagte habe diesen Beweis nicht zu führen vermocht, von Verfahrensfehlern beeinflusst. Denn es hat sie unzutreffend allein auf die - von ihm nur unvollständig gewürdigten - erstinstanzlichen Aussagen der Zeugen gestützt.

Das OLG hat übersehen, dass zwei Zeugen Indizien bekundet haben, die darauf hindeuten, dass sich in dem Briefumschlag und den Geldtaschen, die der Beklagte unstreitig an den Kläger zu 2) übergeben hat, tatsächlich jeweils größere Bargeldbeträge und nicht bloß Unterlagen befunden haben. Mit diesen Angaben hat sich das OLG nicht im gebotenen Umfang auseinandergesetzt. Entscheidend ist, dass der Beklagte in seiner Klageerwiderung zu den Geldübergaben substantiiert vorgetragen hat, dieses erhebliche Vorbringen von den Klägern bestritten worden ist und die Zeugen hierzu tatsächlich etwas bekundet haben. Zudem hat sich der Beklagte die ihm günstigen Zeugenangaben jedenfalls stillschweigend zu eigen gemacht. Vor diesem Hintergrund beanstandet die Revision zu Recht, dass das OLG die Zeugen nicht erneut vernommen hat, obwohl dies geboten gewesen wäre.

Dieser Verfahrensfehler ist entscheidungserheblich. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das OLG, hätte es nach erneuter Vernehmung die Zeugen als glaubwürdig beurteilt und deren Angaben umfassend gewürdigt und für glaubhaft befunden, in Bezug auf die behaupteten Geldübergaben zumindest einen "Anbeweis" für eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO als geführt angesehen und eine solche, ggf. nach Anhörung der Parteien, vorgenommen hätte. Die nach pflichtgemäßem Ermessen vom Gericht anzuordnende Parteivernehmung von Amts wegen setzt grundsätzlich das Bestehen einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Behauptungen der beweisbelasteten Partei aufgrund des bisherigen Verhandlungsergebnisses bei einer non-liquet-Situation im Übrigen voraus. Dieser "Anbeweis" kann sich aus einer schon durchgeführten Beweisaufnahme oder aus dem sonstigen Verhandlungsinhalt, insbesondere aus einer Anhörung nach § 141 ZPO oder aus Ausführungen der Partei nach § 137 Abs. 4 ZPO ergeben.

Da die Regelungen der §§ 445 ff ZPO subsidiär gegenüber anderen Beweismitteln sind und grundsätzlich voraussetzen, dass eine Partei sich in Beweisnot befindet, ihr also keine Beweismittel zur Verfügung stehen oder diese nicht ausreichen, hängt die Zulässigkeit einer Parteivernehmung von Amts wegen gem. § 448 ZPO weiterhin davon ab, dass zuvor alle angebotenen Beweismittel, also auch die nach § 445 ZPO oder § 447 ZPO beantragte und nur mit Einverständnis des jeweiligen Gegners mögliche Parteivernehmung, ausgeschöpft worden sind und keinen vollständigen Beweis erbracht haben. Weiterhin obliegt es der Partei, zunächst einen ihr zumutbaren Zeugenbeweis anzutreten. Ist ihr ein solcher möglich, befindet sie sich nicht in Beweisnot, sondern ist beweisfällig. Die Subsidiaritätsbedingung ist vorliegend erfüllt, da die Vernehmung der vom Beklagten angeführten Zeugen v. S. keinen vollen Beweis für die Richtigkeit seines Vorbringens erbracht hat und aktenkundig kein (weiterer) neutraler Zeuge existiert, den der Beklagte aus nicht näher dargelegten Gründen nicht benannt hat.

Dem steht nicht entgegen, dass sich der Beklagte zum Beweis des Inhalts der übergebenen Behältnisse vorinstanzlich weder auf das Zeugnis der Ehefrau des Klägers zu 2) berufen noch dessen Parteivernehmung beantragt hat. Zur Wahrung der Subsidiarität ist es nicht erforderlich, eine im Lager des Prozessgegners stehende Person, wie hier die Ehefrau des Klägers zu 2), als Zeugen zu benennen, da die vorrangige Ausschöpfung anderweitiger Beweismittel dazu dient, die subsidiäre Parteivernehmung gem. § 448 ZPO entbehrlich zu machen. Dies mit der Vernehmung eines im gegnerischen Lager stehenden Zeugen zu erreichen, ist jedoch typischerweise unwahrscheinlich und kann daher der beweisbelasteten Partei nicht abverlangt werden. Gleiches gilt erst recht für die Vernehmung des Gegners als Partei gem. § 445 Abs. 1 ZPO.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.01.2020 10:14
Quelle: BGH online

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