Otto Schmidt Verlag

BGH v. 11.3.2020 - XII ZB 446/19

Fristenkontrolle: Zu den Anforderungen an eine mündliche Einzelanweisung bei notwendiger Korrektur einer Rechtsmittelfrist

Überträgt ein Rechtsanwalt die Notierung von Fristen einer Kanzleikraft, muss er durch geeignete organisatorische Maßnahmen oder durch konkrete Einzelanweisung sicherstellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Bei notwendiger Korrektur einer Rechtsmittelfrist muss eine mündliche Einzelanweisung klar und präzise beinhalten, dass die Frist sofort und vor allen anderen Aufgaben im Fristenkalender zu korrigieren ist.

Der Sachverhalt:
Die Beklagte wendet sich gegen die Versagung der Wiedereinsetzung und die Verwerfung ihrer Berufung wegen Versäumung der Begründungsfrist. Mit Urteil vom 30.4.2019 verurteilte das LG die Beklagte zur Räumung und Herausgabe von Gebäuden nebst Landwirtschaftsflächen sowie zur Zahlung von rückständiger Miete i.H.v. 6.860 €. Gegen das am 2.5.2019 zugestellte Urteil legte sie mit Schriftsatz ihres neuen Prozessbevollmächtigten am 28.5.2019 Berufung ein. Mit am 3.7.2019 beim OLG eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag beantragte der Prozessbevollmächtigte, die Berufungsbegründungsfrist um drei Wochen zu verlängern. Nachdem das OLG mit Verfügung vom 8.7.2019 auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen hatte, beantragte der Prozessbevollmächtigte am 10.7.2019 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Berufungsbegründungsfrist; die Berufungsbegründung ging am 23.7.2019 beim OLG ein.

Die Beklagte trug Folgendes vor: Das Urteil sei ihren erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 2.5.2019 zugestellt worden. Diese hätten ihr mitgeteilt, dass Berufung "innerhalb eines Monats, d.h. bis zum 3.6.2019 eingelegt werden" müsse. Der 3.6.2019 war ein Montag. Die Mitteilung der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten habe sie an ihren neuen Prozessbevollmächtigten weitergeleitet. Dieser habe die Anweisung erteilt, die Frist nach Akteneinsicht nochmals zu kontrollieren.

Nach Eingang der Akten in der Anwaltskanzlei hätten der Prozessbevollmächtigte und seine langjährige, stets zuverlässige und gewissenhafte Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte gemeinsam festgestellt, dass die Zustellung des Urteils am 2.5.2019 erfolgt sei. Der Prozessbevollmächtigte habe seine Angestellte daher angewiesen, das Datum zur Berufungsbegründung im Fristenkalender entsprechend zu korrigieren. Er selbst habe die Eintragung der Frist auf dem Handaktenbogen kontrolliert und sodann das Büro verlassen, um Mandantengespräche zu führen. Warum die entsprechende Korrektur im Fristenkalender nicht mehr erfolgt sei, könne sich die Angestellte nicht erklären. Diesen Vortrag hat die Beklagte durch eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten glaubhaft gemacht.

Das OLG wies den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung zurück und verwarf die Berufung. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Überlässt ein Rechtsanwalt die Notierung von Rechtsmittelfristen wie hier einer bislang zuverlässigen Kanzleikraft, muss er nach ständiger BGH-Rechtsprechung durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Allerdings ist ein bestimmtes Verfahren hinsichtlich der Fristwahrung weder vorgeschrieben noch allgemein üblich. Vielmehr steht es dem Rechtsanwalt grundsätzlich frei, auf welche Weise er sicherstellt, dass die zutreffend berechnete Frist im Fristenkalender eingetragen wird. Erforderlich ist indessen eine Gegenkontrolle durch den Rechtsanwalt. Hierzu gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind.

Drängen sich hinsichtlich des Erledigungsvermerks in der Handakte keine Zweifel auf, braucht der Rechtsanwalt nicht auch noch den Fristenkalender zu überprüfen, wenn die Büroorganisation die klare Anweisung enthält, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender einzutragen sind, bevor der Erledigungsvermerk in der Handakte angebracht wird. Besteht eine solche Anweisung nicht, ist der Rechtsanwalt dagegen von einer eigenständigen Prüfung des Fristenkalenders nicht befreit. Denn ansonsten besteht die Gefahr, dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits vor der Eintragung im Kalender angebracht wird und die Gegenkontrolle versagt.

Aus dem Vorbringen der Beklagten ist zur allgemeinen Büroorganisation ihres Prozessbevollmächtigten nur ersichtlich, dass neben dem Fristenkalender Handakten geführt werden, die Eintragungen in den Fristenkalender durch entsprechende Erledigungsvermerke dokumentieren. Dass die Büroorganisation die klare Anweisung enthält, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender einzutragen sind, bevor der Erledigungsvermerk in der Handakte angebracht wird, ist nicht vorgetragen.

Betrifft die Anweisung einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen sein oder werden, dass die Anweisung etwa im Drang der übrigen Geschäfte in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt. Durch eine klare und präzise Anweisung im Einzelfall, die Rechtsmittelbegründungsfrist sofort und vor allen anderen Aufgaben im Fristenkalender einzutragen, wird in diesen Fällen eine ausreichende Vorkehrung getroffen, insbesondere dann, wenn weiter eine allgemeine Büroanweisung besteht, einen solchen Auftrag stets vor allen anderen Aufgaben zu erledigen.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.04.2020 10:38
Quelle: BGH online

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