Otto Schmidt Verlag

BGH v. 25.11.2021 - XII ZB 256/20

Versäumung einer Rechtsmittelfrist in den Fällen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung

Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist auch in den Fällen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht unverschuldet, wenn diese offenkundig falsch gewesen ist und deshalb - ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand - nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte. Das gilt auch bei einer von einem Familiensenat eines OLG erteilten Rechtsbehelfsbelehrung, wenn der Fehler in keiner Weise nachvollziehbar ist und sich das Vorliegen eines offensichtlichen Versehens aufdrängt.

Der Sachverhalt:
Der Antragsteller nimmt den Antragsgegner, seinen früheren Schwiegersohn, auf Darlehensrückzahlung in Anspruch. Das AG - Familiengericht - verpflichtete den Antragsgegner nach Durchführung einer Beweisaufnahme zur Zahlung von 25.500 €. Gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 1.10.2019 zugestellten Beschluss legte der Antragsgegner Beschwerde ein, die am 4.11.2019 beim AG einging. Zugleich beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist.

Das OLG lehnte die Wiedereinsetzung ab und verwarf die Beschwerde. Der dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 2.1.2020 zugestellte Beschluss enthält die folgende Rechtsbehelfsbelehrung: "Der Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar". Der Antragsgegner erhob gegen den Beschluss zunächst Anhörungsrüge. Diese wies das OLG zurück. Unter dem 5.5.2020, dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners zugestellt am 25.5.2020, wies der Senatsvorsitzende in Bezug auf eine nochmalige Anhörungsrüge des Antragsgegners auf die Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung hin. Der Antragsgegner legte am 8.6.2020 Rechtsbeschwerde ein und begründete diese am 24.6.2020. Er beantragt Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einlegungs- und Begründungsfrist.

Die Anträge des Antragsgegners auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG sowie die Rechtsbeschwerde gegen den vorgenannten Beschluss hatten vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 233 ZPO liegen nicht vor. Denn die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ist nicht unverschuldet versäumt worden. Der Antragsgegner muss sich insoweit das Verschulden seines zweitinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

Nach § 233 Satz 2 ZPO wird ein Fehlen des Verschuldens zwar vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Dabei darf auch ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf die Richtigkeit einer durch das Gericht erteilten Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen. Gleichwohl muss von ihm erwartet werden, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kennt. Das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung kann er deshalb nicht uneingeschränkt, sondern nur in solchen Fällen in Anspruch nehmen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt hat. Die Fristversäumung ist mithin auch in den Fällen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht unverschuldet, wenn diese offenkundig falsch gewesen ist und deshalb - ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand - nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte.

Nach diesen Maßstäben war die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist durch den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners nicht unverschuldet, weil die Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung für den zweitinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners offenkundig war. Die Einordnung des vorliegenden Verfahrens als Familienstreitsache gehört zu den verfahrensrechtlichen Grundkenntnissen eines im Familienrecht tätigen Rechtsanwalts. Diese konnte im vorliegenden Fall schon deshalb nicht zweifelhaft sein, weil nur dadurch die Zuständigkeit des Familiengerichts begründet worden und zudem § 266 FamFG im Rubrum des angefochtenen Beschlusses als einschlägige Norm aufgeführt ist. Dass für Familienstreitsachen ihrer Rechtsnatur entsprechend weitgehend auf die Vorschriften des Zivilprozessrechts verwiesen wird, muss dem Rechtsanwalt ebenso bekannt sein wie die dort geltende zulassungsfreie Statthaftigkeit einer Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen, durch die die Berufung als unzulässig verworfen worden ist (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Dementsprechend muss es zu seinem Grundwissen gehören, dass Entsprechendes nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG auch für Familienstreitsachen gilt, wenn die Beschwerde (als unzulässig) verworfen worden ist.

Bei § 117 FamFG handelt es sich nicht um eine versteckte Regelung, sondern um eine zentrale Vorschrift für Rechtsmittel in Ehe- und Familienstreitsachen, die dem Rechtsanwalt bekannt sein muss. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei dem Verfahrensbevollmächtigten um einen Fachanwalt für Familienrecht handelt. Vielmehr nimmt der Rechtsanwalt mit der Übernahme eines entsprechenden Mandats diese verfahrensrechtliche Sachkunde für sich in Anspruch. Daran ändert der Umstand nichts, dass diese einfachen Anforderungen genügende Kenntnis des Verfahrensrechts selbstverständlich auch vom Familiengericht (hier: vom Familiensenat eines OLG) zu verlangen ist, zumal der Fehler in der Rechtsbehelfsbelehrung in keiner Weise nachvollziehbar ist und sich das Vorliegen eines offensichtlichen Versehens aufdrängt. Auch der Umstand, dass der Fehler dem OLG in der Folgezeit zunächst nicht aufgefallen ist, stellt die Offenkundigkeit des Fehlers noch nicht in Frage. Dementsprechend besteht auch für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Rechtsbeschwerdebegründung keine Grundlage.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.01.2021 15:08
Quelle: BGH online

zurück zur vorherigen Seite