Otto Schmidt Verlag

Aktuell im FamRB

Grenzüberschreitende Kindschaftsverfahren in Zeiten von Corona (Erb-Klünemann/Höhn, FamRB 2021, 37)

Corona stellt (auch) das internationale Familienrecht vor bislang unbekannte Herausforderungen. Einschränkungen wie Reise- und Kontaktbeschränkungen und Shutdowns bringen den Wunsch nach grenzüberschreitendem Umgang mit dem Kind nicht zum Erliegen, sorgerechtliche Fragen sind weiterhin zu entscheiden und auch Entführungen finden statt und sind rechtlich zu klären. Wie sollen solche Konflikte rechtlich gelöst werden, wenn man das eigene Land, mitunter nicht einmal die eigene Wohnung verlassen kann? Verfahren sollten – im Rahmen der Möglichkeiten und ggf. mit etwas mehr Aufwand – jedenfalls geführt werden! Hierzu zeigen die Autoren die pandemiebedingten Besonderheiten, Hilfestellungen und Lösungsmöglichkeiten auf.

1. Verfahrensführung
a) Beschleunigungsgebote
b) Persönliche Anhörung
c) Videokonferenzen
d) Keine Verfahrensaussetzung und Terminverschiebungen
e) Hilfestellung durch Justizielle Netzwerke und Zentrale Behörden
f) Mediation
2. Grenzüberschreitende Sorgerechtsverfahren
3. Grenzüberschreitende Umgangsverfahren
4. Rückführungsverfahren nach dem HKÜ
5. Fazit



1. Verfahrensführung
a) Beschleunigungsgebote
Die deutschen rechtlichen Regelungen mit Bezug zu Corona-Präventionen blieben im Justizbereich bislang eher unspezifisch.  Im Familienrecht wurden aus Anlass dieser Situation nahezu keine speziellen Anordnungen erlassen,  weder materiell- noch verfahrensrechtlicher Natur. Die Handhabung wurde seitens des Gesetzgebers bislang zumeist offen gelassen mit Verweis auf die richterliche Unabhängigkeit. Es obliegt dem jeweiligen Gericht, Prioritäten im Rahmen der Corona-bedingten Einschränkungen im Justizbetrieb zu setzen. Nach den allgemeinen rechtlichen Vorgaben sind Kindschaftsverfahren nach § 155 FamFG vorrangig und beschleunigt durchzuführen. Für Rückführungsverfahren nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung von 1980 (HKÜ) gilt zudem das zusätzliche Beschleunigungsgebot nach § 38 IntFamRVG.  Diesen Geboten folgend finden derartige Verfahren in Deutschland auch unter den erschwerten Bedingungen seit Beginn der Corona-Einschränkungen nach wie vor statt.

b) Persönliche Anhörung
Für Verfahren, die ein Kind betreffen, regelt § 34 i.V.m. § 160 FamFG, dass die Eltern persönlich angehört werden sollen und dass hiervon nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden darf. § 159 FamFG sieht dies auch für die Kindesanhörung vor. Es hat sich gezeigt, dass Beteiligte aus dem In- und Ausland auch in Zeiten der Pandemie zu Verhandlungsterminen anreisen möchten und dies auch grundsätzlich möglich ist. Mitunter sind hierfür zusätzliche Schritte und ggf. geringfügig zusätzliche Zeit erforderlich. Die Corona-bedingten Hindernisse können aber zumeist erfolgreich beseitigt werden.

Derzeit sind insbesondere die Testpflicht von Einreisenden aus Risikogebieten sowie Quarantäne-Bestimmungen zu beachten. Im Gegensatz zur ersten Welle im Frühjahr ist derzeit eine Einreise aufgrund nun vorhandener Testmöglichkeiten oftmals sogar leichter möglich. Insofern ist aber immer der jeweils aktuelle gesetzliche Stand zu überprüfen. 

Beraterhinweis
Im Fall von Einreisebeschränkungen wie Test- und Quarantänevorgaben ist es oft hilfreich, wenn die einreisende Person eine gerichtliche Bescheinigung vorweisen kann, dass ihr persönliches Erscheinen zum Termin angeordnet worden ist. Dies ist als triftiger Einreisegrund von den beteiligten zuständigen Stellen zumeist schon auf Basis der bestehenden rechtlichen Regelungen akzeptiert worden und ebnet – falls nötig  – die Möglichkeit für spezifische Ausnahmen von etwaigen Quarantäne-Anordnungen durch das jeweils zuständige Gesundheitsamt.

c) Videokonferenzen
Alternativ hierzu schaffen die § 32 Abs. 3 FamFG, § 128a ZPO die Möglichkeit, die Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung durchzuführen. 

Befindet sich ein Beteiligter im Ausland kann das Gericht grenzüberschreitend innerhalb der EU mit der EU-Beweisaufnahmeverordnung  arbeiten. Diese sieht in ihren Art. 10 Abs. 3, Art. 17 die unmittelbare Beweisaufnahme mittels Video- oder Telefonkonferenz vor.  Am 4.11.2020 hat der Rat der Europäischen Union die Neufassung der VO verabschiedet, um den grenzüberschreitenden ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.01.2021 12:32
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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