Otto Schmidt Verlag

BGH v. 17.12.2020 - III ZB 31/20

Zumutbarkeit der Benutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs

Zur Zumutbarkeit der Benutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs zur Übermittlung der Berufungsbegründung an das Berufungsgericht, wenn am Abend des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist eine Übermittlung per Telefax aus von der Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers nicht zu vertretenden Gründen scheitert (Defekt des gerichtlichen Empfangsgerätes) und diese mit der aktiven Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs nicht vertraut ist.

Der Sachverhalt:
Der Kläger macht gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche aus Prospekthaftung geltend. Das LG hat die Klage abgewiesen. Am Tag des Fristablaufs für die Berufungsbegründung hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers zwischen 17:00 und 19:45 Uhr mehrfach versucht, die Berufungsbegründung per Telefax an das Berufungsgericht zu übersenden. Dies gelang nicht, weil das für Schriftsätze in Zivilsachen zur Verfügung stehende Faxgerät des Gerichts für mehrere Tage defekt war.

Die eingescannte Berufungsbegründung wurde sodann per E-Mail übemittelt, jedoch erst am folgenden Tag, also nach Ablauf der Frist bei Gericht ausgedruckt, was nach der Rechtsprechung des BGH entscheidend für die Frage der Einhaltung der Frist ist.

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde hatte vor dem BGH Erfolg.

Die Gründe:
Das Berufungsgericht hat zu Unrecht den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt. Ein dem Kläger zuzurechnendes Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten liegt nicht vor.

Ein Verschulden der Rechtsanwältin ist insbesondere nicht darin zu sehen, dass sie die Berufungsbegründung nicht über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an das Berufungsgericht gesandt hat, nachdem dies mittels Telefax nicht möglich war.

Die Frage, ob ein Rechtsanwalt, der sich für den Versand eines fristwahrenden Schriftsatzes per Telefax entschieden hat, bei technischen Problemen kurz vor Fristablauf einen Übermittlungsversuch über das besondere elektronische Anwaltspostfach unternehmen muss, ist in der Instanzrechtsprechung und der Literatur umstritten.

Der Senat schließt sich für den vorliegenden Fall eines bisher nicht aktiv genutzten besonderen elektronischen Anwaltspostfachs der Auffassung an, die davon ausgeht, dass einem Rechtsanwalt, der bislang noch nicht mit dem elektronischen Versand in einem allgemeinen Zivilverfahren befasst war, hieraus kein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann.

Denn die Benutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs nach gescheiterter Übermittlung per Telefax ist jedenfalls dann kein zumutbarer, nur geringfügigen Aufwand verursachender alternativer Übermittlungsweg in vorstehendem Sinne, wenn der Prozessbevollmächtigte der Partei das besondere elektronische Anwaltspostfach bisher nicht aktiv zum Versand von Schriftsätzen genutzt hat und mit seiner Nutzung nicht vertraut ist.

Rechtsanwälte sind derzeit nur zur passiven Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs verpflichtet (§ 31a Abs. 6 BRAO). Bis zum Eintritt der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für Rechtsanwälte spätestens ab dem 1.1.2022 besteht für die Rechtsanwaltschaft keine allgemeine Pflicht, sich mit den Anforderungen und der Funktionsweise der Erstellung und des Versands elektronischer Dokumente auseinanderzusetzen.

Dieser Übermittlungsweg stellt daher für einen Rechtsanwalt, der das besondere elektronische Anwaltspostfach bisher nicht aktiv genutzt und hierüber keine Dokumente versandt hat, keine sich aufdrängende, mit geringfügigem Aufwand nutzbare Alternative dar, wenn am Tag des Fristablaufs die von ihm gewählte Übermittlung mittels Telefax aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen scheitert. Es ist ihm nicht zuzumuten, sich innerhalb kurzer Zeit vor Fristablauf erstmals mit den Voraussetzungen dieser für ihn neuen Zugangsart vertraut zu machen.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.01.2021 15:16
Quelle: BGH online

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