Otto Schmidt Verlag

EuGH v. 25.2.2021 - C-129/20

Recht auf Elternurlaub darf nicht von Beschäftigung zum Zeitpunkt der Geburt oder Adoption abhängig gemacht werden

Ein Mitgliedstaat darf das Recht auf Elternurlaub nicht von dem Erfordernis abhängig machen, dass der Elternteil zur Zeit der Geburt oder Adoption des Kindes einer Beschäftigung nachgegangen ist. Der Mitgliedstaat darf jedoch verlangen, dass der Elternteil ununterbrochen über einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten unmittelbar vor Beginn des Elternurlaubs beschäftigt war.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen die Zukunftskasse in Luxemburg, weil diese ihr das Recht auf Elternurlaub zur Betreuung ihrer Zwillinge mit der Begründung versagt hat, dass sie am Tag der Geburt der Zwillinge keine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt habe. Im September 2011 hatte die Klägerin mit dem luxemburgischen Staat einen befristeten Arbeitsvertrag als Lehrbeauftragte an weiterführenden Schulen geschlossen, der am 26.1.2012 ablief. An diesem Tag wurde sie bei den Sozialversicherungsträgern abgemeldet. Am 4.3.2012, zu einem Zeitpunkt, zu dem sie arbeitslos war, brachte die Klägerin Zwillinge zur Welt. Am 14.6.2012 wurde ihr Arbeitslosengeld zuerkannt und sie daher wieder bei den Sozialversicherungsträgern angemeldet.

Nachdem die Klägerin mit dem luxemburgischen Staat am 15.9.2012 und 1.8.2013 zwei befristete Verträge geschlossen hatte, unterzeichnete sie am 15.9.2014 mit demselben einen unbefristeten Vertrag im Bildungsbereich. Die Klägerin beantragte Elternurlaub ab dem 15.9.2015. Mit Bescheid vom 20.3.2015 lehnte die Zukunftskasse diesen Antrag mit der Begründung ab, dass die Gewährung von Elternurlaub davon abhänge, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes rechtmäßig und sozialversichert an einem Arbeitsplatz beschäftigt sei.

Der mit der Sache befasste Kassationsgerichtshof in Luxemburg möchte vom EuGH wissen, ob die Richtlinie 2010/18/EU zur Durchführung der überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub der Anwendung eines luxemburgischen Gesetzes entgegensteht, das die Gewährung von Elternurlaub von zwei Voraussetzungen abhängig macht, nämlich davon, dass der Arbeitnehmer nicht nur unmittelbar vor dem Beginn des Elternurlaubs mindestens zwölf Monate ununterbrochen rechtmäßig und sozialversichert an einem Arbeitsplatz beschäftigt war, sondern auch zum Zeitpunkt der Geburt oder der Aufnahme des oder der zu adoptierenden Kinder, und zwar auch dann, wenn das Kind mehr als zwölf Monate vor dem Beginn des Elternurlaubs geboren oder aufgenommen wurde.

Die Gründe:
Die Mitgliedstaaten dürfen die Gewährung eines Elternurlaubs von einer vorausgegangenen Beschäftigungsdauer bis zu einer Grenze von höchstens einem Jahr abhängig machen und können verlangen, dass es sich dabei um einen zusammenhängenden Zeitraum handelt. Da ein Antrag auf Elternurlaub darauf abzielt, eine Aussetzung des Arbeitsverhältnisses des Antragstellers zu erreichen, dürfen die Mitgliedstaaten zudem verlangen, dass die vorausgegangene Beschäftigungszeit unmittelbar vor Beginn des Elternurlaubs liegt. Das Unionsrecht steht einer nationalen Regelung daher nicht entgegen, die die Gewährung eines Rechts auf Elternurlaub von der ununterbrochenen Beschäftigung des betreffenden Elternteils über einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten unmittelbar vor Beginn dieses Elternurlaubs abhängig macht.

Das Recht auf Elternurlaub ist ein individuelles Recht, das Arbeitnehmer*innen im Fall der Geburt oder Adoption eines Kindes zu dessen Betreuung bis zu einem bestimmten Alter des Kindes (das acht Jahre nicht überschreiten darf) gewährt wird. Die Geburt oder Adoption eines Kindes und der Arbeitnehmerstatus seiner Eltern sind Voraussetzungen für das Recht auf Elternurlaub - aus diesen Voraussetzungen lässt sich aber nicht ableiten, dass die Eltern des Kindes, für das dieser Urlaub beantragt wird, zum Zeitpunkt der Geburt oder Adoption des Kindes Arbeitnehmer sein müssen.

Die Richtlinie verfolgt das Ziel, sowohl die Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz zu fördern als auch die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben für erwerbstätige Eltern zu verbessern. Das individuelle Recht jedes erwerbstätigen Elternteils auf Elternurlaub wegen der Geburt oder Adoption eines Kindes ist als Ausdruck eines sozialen Grundrechts der Union zu verstehen, dem besondere Bedeutung zukommt und das im Übrigen in der Charta der Grundrechte der EU verankert ist.

Die Eltern auszuschließen, die zum Zeitpunkt der Geburt oder Adoption ihres Kindes nicht erwerbstätig waren, liefe darauf hinaus, für diese Eltern die Möglichkeiten einzuschränken, zu einem späteren Zeitpunkt ihres Lebens, zu dem sie wieder einer Beschäftigung nachgehen, Elternurlaub zu nehmen, den sie benötigten, um ihre familiären und beruflichen Pflichten miteinander in Einklang zu bringen. Ein solcher Ausschluss widerspräche dem individuellen Recht jedes Arbeitnehmers auf Elternurlaub. Im Übrigen haben die beiden im luxemburgischen Recht vorgesehenen Voraussetzungen in Wahrheit, wenn das Kind mehr als zwölf Monate vor Beginn des Elternurlaubs geboren oder aufgenommen wurde, eine Verlängerung hinsichtlich der vorausgesetzten Beschäftigungs- und/oder Betriebszugehörigkeitsdauer zur Folge, die ein Jahr nicht überschreiten darf. Ein Mitgliedstaat darf also nach alldem das Recht eines Elternteils auf Elternurlaub nicht von der Voraussetzung abhängig machen, dass dieser Elternteil zum Zeitpunkt der Geburt oder der Adoption seines Kindes erwerbstätig ist.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.02.2021 15:29
Quelle: EuGH PM Nr. 20 vom 25.2.2021

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