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Die große Reform: Primat der Wünsche des Betreuten - die neuen Vorschriften des Betreuungsrechts (Bartels, FamRB 2021, 204)

Das mittlerweile vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, das auch bereits den Bundesrat passiert hat, wird eine grundlegende Modernisierung und Neustrukturierung des Rechts der Vormundschaft über Minderjährige, der Pflegschaft sowie der Betreuung Volljähriger bringen. Zudem ist die Einführung neuer Regelungen zur Stellvertretung unter Ehegatten vorgesehen. Der Beitrag gibt einen Überblick über „die große Reform“, wobei sich der vorliegende zweite Teil im Anschluss an die Darstellung der Veränderungen im Bereich der Vormundschaft über Minderjährige und der Pflegschaft (Bartels, FamRB 2021, 113) mit den Neuerungen des Betreuungsrechts befasst (inkl. Synopse).

I. Vorbemerkung
II. Die Struktur
III. Die Änderungen im Einzelnen

1. Bestellung eines Betreuers
a) Voraussetzungen der Anordnung einer rechtlichen Betreuung
b) Aufgabenkreise werden Aufgabenbereiche
c) Erforderlichkeitsprüfung der Betreuungsbehörde
d) Auswahl des Betreuers
aa) Weiterhin: Vorrang des ehrenamtlichen Betreuers
bb) Weitere Betreuertypen
cc) Auswahlparameter, insb. Absicherung der Qualifikation
dd) Ausschlussgrund der Abhängigkeit
e) Bestellungs- und Auswahlverfahren
f) Überprüfung der Auswahlentscheidung
2. Führung der Betreuung
a) § 1821 BGB-E als betreuungsrechtliche Zentralnorm
b) Stellvertretung und Haftung
c) Personenangelegenheiten
d) Vermögensangelegenheiten
3. Beratung und Aufsicht durch das Betreuungsgericht
4. Betreuerwechsel, Beendigung der Betreuung
5. Vergütung und Aufwendungsersatz
IV. Schlussbemerkung
V. Synopse



I. Vorbemerkung
Der Gesetzentwurf zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts (BT-Drucks. 19/2445) ist mit nur unwesentlichen Änderungen vom Deutschen Bundestag in seiner Sitzung vom 5.3.2021 verabschiedet worden,  der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 26.3.2021 gem. Art. 104a Abs. 4 GG zugestimmt,  so dass mit der zu erwartenden Gesetzesausfertigung durch den Bundespräsidenten das Gesetzgebungsverfahren seinen Abschluss finden und die Änderungen am 1.1.2023 in Kraft treten werden. Im Bereich des Betreuungsrechts strebt die Reform eine Umsetzung des Gebots größtmöglicher Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen i.S.v. Art. 12 der UN-Behindertenrechtskonvention (BGBl. II 2008, 1419 ff., im Folgenden: UN-BRK) an. Unter diesem Vorzeichen werden die Regelungen zur Beachtlichkeit des freien Willens des Betroffenen weiterentwickelt, indem vor allem auf die Wünsche des Betroffenen abgestellt wird. Weiter wird versucht, das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsanwendung durch noch präzisere Vorgaben stringenter um- und durchzusetzen, die Qualität insbesondere ehrenamtlicher Betreuung zu verbessern und die Effektivität der betreuungsgerichtlichen Aufsicht zu steigern.

II. Die Struktur
Das nunmehr als Titel 3 in den 3. Abschnitt des Familienrechts eingefügte Betreuungsrecht wird unter Berücksichtigung der angewachsenen Zahl von Vorschriften in Untertitel unterteilt. Die bislang im Vormundschaftsrecht angesiedelten und mittels der Verweisungsnorm des § 1908i BGB für die Betreuung entsprechend anwendbaren Regelungen über die Vermögensverwaltung, die Genehmigung von Rechtsgeschäften und über die Aufsicht des Familien-/Betreuungsgerichts werden nunmehr im Betreuungsrecht beheimatet:

Titel 3 Rechtliche Betreuung

  • Untertitel 1 Betreuerbestellung
  • Untertitel 2 Führung der Betreuung
  • Kapitel 1 Allgemeine Vorschriften
  • Kapitel 2 Personenangelegenheiten
  • Kapitel 3 Vermögensangelegenheiten
  • Unterkapitel 1 Allgemeine Vorschriften
  • Unterkapitel 2 Verwaltung von Geld, Wertpapieren und Wertgegenständen
  • Unterkapitel 3 Anzeigepflichten
  • Unterkapitel 4 Genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäfte
  • Unterkapitel 5 Genehmigungserklärung
  • Unterkapitel 6 Befreiungen
  • Untertitel 3 Beratung und Aufsicht durch das Betreuungsgericht
  • Untertitel 4 Beendigung, Aufhebung oder Änderung von Betreuung und Einwilligungsvorbehalt
  • Untertitel 5 Vergütung und Aufwendungsersatz

Eine Synopse, mit der die alten den neuen Vorschriften gegenübergestellt werden, finden Sie am Ende des Beitrags.

III. Die Änderungen im Einzelnen

1. Bestellung eines Betreuers

a) Voraussetzungen der Anordnung einer rechtlichen Betreuung

§ 1814 Abs. 1 BGB in der ab 1.1.2023 geltenden Fassung (im Folgenden: BGB-E) stellt ebenso wie § 1896 Abs. 1 BGB (aktuell geltender Fassung, im Folgenden: BGB) auf den objektiven Betreuungs- und Unterstützungsbedarf ab, nennt dieses Tatbestandsmerkmal aber nunmehr zuerst, was materiell an sich keine Veränderung darstellt, aber nach der gesetzgeberischen Absicht einer übermäßigen Fokussierung auf medizinische Aspekte entgegenwirken soll.  Dass nurmehr von Krankheit oder Behinderung gesprochen wird, statt zwischen einer psychischen Krankheit und einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung zu differenzieren, ist im Sinne der Schaffung eines knappen und verständlichen Gesetzestextes durchaus zu begrüßen. Irritierend ist allerdings der Vorwurf der Gesetzesbegründung gegenüber § 1896 Abs. 1 BGB, die Herausstellung psychischer Erkrankungen sei geeignet, die von einer solchen Erkrankung betroffenen Menschen als besonders betreuungsbedürftig zu „stigmatisieren“, weshalb die neue Gesetzesfassung Diskriminierungen vermeide.  Soll das Gesetz als Beitrag der Umsetzung der UN-BRK dienlich sein,  so muss doch die Frage erlaubt sein, ob es nicht erst recht diskriminierend ist, durch die betreffenden Ausführungen der Gesetzesbegründung einer bestimmten Art der Erkrankung oder Behinderung eine Bedeutung dahin zuzuweisen, ihre Erwähnung könne „stigmatisierend“ wirken, dies umso mehr, wenn es richtigerweise darum gehen soll, sowohl jeglicher Erkrankung oder Behinderung als auch der Betreuungsbedürftigkeit und der Anordnung einer rechtlichen Betreuung den Aspekt des Makels zu nehmen.

Dass es keiner Betreuung bedarf, wenn die Angelegenheiten durch einen Bevollmächtigten oder durch Einsatz anderer Hilfen besorgt werden können, wird gegenüber der Formulierung des § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB in § 1814 Abs. 3 BGB-E etwas prägnanter herausgestellt. Die bislang über verschiedene Vorschriften verteilten Regelungen zu den Fällen, in denen es einer schriftlichen Vollmacht und einer ausdrücklichen Erwähnung der Maßnahme (ärztliche Behandlung, Unterbringung, freiheitsentziehende Maßnahmen u.a.) in der Vollmachtsurkunde bedarf, werden in § 1820 Abs. 2 BGB-E zusammengeführt.

b) Aufgabenkreise werden Aufgabenbereiche
Derzeit sieht § 1896 Abs. 2 BGB die Bestellung eines Betreuers für bestimmte Aufgabenkreise vor, eine Bestimmung, die in der Praxis häufig mit recht allgemein gehaltenen Schlagworten wie Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, Personensorge o.Ä. vorgenommen wird. Demgegenüber definiert § 1815 Abs. 1 BGB-E den Aufgabenkreis des Betreuers als ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.05.2021 14:35
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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