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Die große Reform: Das Notvertretungsrecht für Ehegatten kommt (Kemper, FamRB 2021, 260)

Bestandteil der Reform des Vormundschafts- (dazu Bartels, FamRB 2021, 113) und Betreuungsrechts (dazu Bartels, FamRB 2021, 204) zum 1.1.2023 ist auch die Einführung eines sog. Notvertretungsrechts des Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitsfürsorge, wenn der andere Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge rechtlich nicht besorgen kann (§ 1358 BGB n.F.). Der Beitrag gibt einen Überblick über die Voraussetzungen, die Reichweite und das Ende dieses Vertretungsrechts und setzt sich kritisch damit auseinander.

I. Einführung
II. Das Bedürfnis nach einer Regelung eines Ehegatten-Notvertretungsrechts
III. Die Voraussetzungen des Notvertretungsrechts

1. Ehe zwischen vertretendem und vertretenen Ehegatten
2. Verhinderung eines Ehegatten, seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge rechtlich zu besorgen
3. Kein Getrenntleben
4. Ablehnung der Vertretung durch den Vertretenen
5. Bevollmächtigung eines Dritten
6. Bestehen einer rechtlichen Betreuung
IV. Die Reichweite des Notvertretungsrechts
1. Innen- und Außenverhältnis
2. Auf Notvertretung begrenzte Vertretungsmacht
3. Die Gegenstände des Notvertretungsrechts
a) Angelegenheiten der Gesundheitssorge i.e.S.
b) Vertragsangelegenheiten
c) Freiheitsentziehende Maßnahmen
d) Geltendmachung von Ansprüchen des vertretenen Ehegatten aus Anlass der Erkrankung
e) Keine Befugnis zur Postkontrolle
4. Annexregelungen zugunsten des vertretenden Ehegatten
a) Entbindung der Ärzte von der Schweigepflicht
b) Einsicht in Krankenunterlagen
V. Das Ende des Notvertretungsrechts
1. Wegfall der Voraussetzungen
2. Bestellung eines Betreuers
3. Ablauf von sechs Monaten
4. Sechswochenfrist bei freiheitsentziehenden Maßnahmen
VI. Verfahrens- und ergänzende Regelungen
1. Hinweispflicht des Standesbeamten
2. Eintragung des Widerspruchs zur Ehegattenvertretung in das zentrale Vorsorgeregister
3. Kontrolle der zeitlichen Begrenzung des Vertretungsrechts
VII. Fazit


I. Einführung

Über die Notwendigkeit der jetzt verabschiedeten Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts bestand bei den im Bundestag vertretenen Parteien grundsätzliche Einigkeit. Zu sehr war das bisherige Vormundschaftsrecht der Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts verhaftet, zu sehr dominierten vermögensrechtliche Fragestellungen die Behandlung kindschaftsrechtlicher Fragen, und selbst das viel jüngere Betreuungsrecht zeigte erhebliche Lücken in der Gewährleistung der Rechtssubjektivität der Betreuten. Ein Punkt, an dem sich die Geister aber wirklich schieden, war die Einführung des Notvertretungsrechts eines Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitsfürsorge, wenn der andere Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge rechtlich nicht besorgen kann (§ 1358 BGB n.F.): von der CDU/CSU befürwortet, von der SPD eher widerwillig mitgetragen, und von den anderen Parteien – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – vehement abgelehnt. Es stellt sich daher die Frage, ob für die neue Regelung wirklich ein Bedarf besteht und wie die praktische Anwendung des neuen Rechts in der Praxis aussehen wird.

Bereits die Vorgeschichte des neuen § 1358 BGB ist ungewöhnlich: Die Regelung ist in ihrer rechtlichen Ausgestaltung an die Regelung zur Ehegattenvertretung aus dem Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 18.5.2017 betreffend das „Gesetz zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegenheiten der Gesundheitsfürsorge und in Fürsorgeangelegenheiten“ angelehnt. In dem damals verabschiedeten § 1358 BGB war ein Notvertretungsrecht der Ehegatten untereinander vorgesehen, das zeitlich zwar nicht im Gesetz selbst befristet war, aber in der Praxis durch den eng begrenzten Vertretungsumfang auf die Notfallsituation auch zeitlich beschränkt sein sollte. Dieses Gesetz scheiterte letztlich im Bundesrat, denn dieser erteilte dem Zustimmungsgesetz seine Zustimmung nicht, weil er die ebenfalls in diesem Gesetz enthaltenen Regelungen zur Anhebung der Vergütungen von Berufsvormündern und Berufsbetreuern ablehnte. Insofern handelte es sich jetzt um den zweiten Anlauf, das Ehegatten-Notvertretungsrecht zu installieren.

II. Das Bedürfnis nach einer Regelung eines Ehegatten-Notvertretungsrechts
Schon die Suche nach dem Bedürfnis nach einer Regelung eines Ehegatten-Notvertretungsrechts führt nicht zu einem eindeutigen Ergebnis:

Die Befürworter eines derartigen Rechtsinstituts argumentieren, dass Ehegatten und Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft nach geltendem Recht weder Entscheidungen über medizinische Behandlungen für ihren nicht mehr selbst handlungsfähigen Partner treffen noch diesen im Rechtsverkehr vertreten können, solange sie nicht als rechtliche Betreuer ihres Partners bestellt werden oder von ihm im Rahmen einer Vorsorgevollmacht hierzu wirksam bevollmächtigt worden sind. Besonders in der ersten Zeit nach einem Unfall oder einer unerwarteten schweren Krankheit könne es für Betroffene und Angehörige jedoch eine zusätzliche erhebliche Belastung bedeuten, wenn es erst eines gerichtlichen Verfahrens auf Betreuerbestellung bedürfe, um dem Ehegatten oder Lebenspartner auch in rechtlicher Hinsicht beistehen zu können. Das Vertretungsrecht solle deswegen den Zeitraum im Anschluss an die Akutversorgung nach einem Unfall oder einer schweren Erkrankung abdecken bis der Patient wieder in der Lage sei, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen, was häufig schon nach wenigen Tagen oder Wochen der Fall sei, wenn nicht eine dauerhafte Beeinträchtigung der rechtlichen Handlungsfähigkeit eingetreten sei. Mit dieser Regelung werde vermieden, dass in einer solchen für alle Beteiligten ohnehin äußerst belastenden Situation die Anordnung einer vorläufigen Betreuung nach § 300 FamFG erforderlich werde.

Demgegenüber betonen die Kritiker des Ehegatten-Notvertretungsrechts, dass jeder Mensch durch die Errichtung einer Vorsorgevollmacht frühzeitig eine oder mehrere Personen seines Vertrauens bevollmächtigen könne, in einer Notsituation die für ihn bestmöglichen Entscheidungen zu treffen. Vorsorgeverfügungen stellten ein wirksames Instrument der Vorsorge dar und ermöglichten ein hohes Maß an Selbstbestimmung; durch selbstbestimmte Vorsorgeverfügungen werde die Patientenautonomie gestärkt und ein Missbrauchsrisiko minimiert. Es müsse gemeinsames Ziel sein, die selbstbestimmte Vorsorge für Notsituationen weiter zu stärken. Die Instrumente der Vorsorgeverfügungen müssten deshalb verstärkt im Rahmen von Informations- und Aufklärungskampagnen beworben werden.

Für beide Positionen sprechen gute Argumente: Den Kritikern ist vor allem darin beizupflichten, dass ihr an den verstärkten Nutzung des Instruments der Vorsorgevollmacht orientiertes Modell am besten dem Konzept des autonom handelnden Rechtssubjekts entspricht, das dem Menschenbild des Grundgesetzes am besten entspricht, während das Modell des Ehegatten-Notvertretungsrechts eher der Sicht des fürsorgenden, aber auch bevormundenden Staates entspricht, in dem der Betroffene ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.06.2021 10:57

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