Otto Schmidt Verlag

OLG München v. 23.6.2021, 20 U 6587/20

Spanien „oder“ Deutschland - Zur Frage des Wohnsitzes

Die Frage des Wohnsitzes bestimmt sich nach Art. 62 Abs. 1 Brüssel Ia-VO für das angerufene deutsche Gericht nach deutschem Recht, also nach den §§ 7 ff BGB. Da nach § 7 Abs. 2 BGB auch mehrere Wohnsitze bestehen können, kommt es nicht auf die Frage an, ob die Beklagte ihren Wohnsitz in Spanien „oder“ in Deutschland hat, wie das LG offenbar gemeint hat. Vielmehr kommt in Betracht, dass die Beklagte ihren Wohnsitz „auch“ in Deutschland hat.

Der Sachverhalt:
Die Beklagte hält sich seit mindestens 2016 ununterbrochen in Spanien auf. Die 98-Jährige ist dement und wird durch den Bruder des Klägers gesetzlich vertreten. Für den Kläger besteht eine notarielle Vorsorgevollmacht vom 26.4.2013, die in Spanien erstellt wurde. Diese umfasst u.a. die Personensorge einschließlich der Bestimmung über den Aufenthaltsort der Beklagten. Durch Beschluss eines spanischen Gerichtes vom 11.1.2019 wurde dem Bruder des Klägers die Vermögensverwaltung übertragen.

Der Kläger machte gegenüber der Beklagten Ansprüche auf Ersatz von für diese aufgewendete Pflegekosten geltend. Das LG hat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte abgewiesen. Da § 23 ZPO gem. Art. 5 Brüssel Ia-VO keine Anwendung fände, komme es nur darauf an, ob die Beklagte nach § 7 BGB (zumindest auch) einen Wohnsitz in Deutschland habe. Dies sei jedoch aufgrund der (näher erörterten) Umstände des Einzelfalls vorliegend zu verneinen.

Auf die Berufung des Klägers hat das OLG die Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

Die Gründe:
Eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte lässt sich in diesem Fall zwar nicht auf Art. 7 der Brüssel-1a-VO stützen. Das LG hat aber zu Unrecht vom Kläger angebotene Beweise für einen aufrecht erhaltenen Wohnsitz der Beklagten in Deutschland nicht erhoben.

Der Vortrag war entscheidungserheblich, da die internationale Zuständigkeit nach Art. 4 Brüssel Ia-VO für deutsche Gerichte gegeben wäre, wenn die Beklagte ihren Wohnsitz (zumindest auch) in Deutschland hätte. Die Frage des Wohnsitzes bestimmt sich nach Art. 62 Abs. 1 Brüssel Ia-VO für das angerufene deutsche Gericht nach deutschem Recht, also nach den §§ 7 ff BGB. Da nach § 7 Abs. 2 BGB auch mehrere Wohnsitze bestehen können, kommt es nicht auf die Frage an, ob die Beklagte ihren Wohnsitz in Spanien „oder“ in Deutschland hat, wie das LG offenbar gemeint hat. Vielmehr kommt in Betracht, dass die Beklagte ihren Wohnsitz „auch“ in Deutschland hat.

Solange die Beklagte tatsächlich jeweils ein halbes Jahr in Deutschland in ihrem angestammten Haus, welches ihr nach wie vor gehört, und ein halbes Jahr in Spanien in ihrem Ferienhaus verbracht hat, läge - auch im Hinblick auf ihre in Deutschland befindliche Familie und ihre in Deutschland befindlichen Vermögenswerte und Einkünfte - ein Wohnsitz auch in Deutschland zumindest nahe. Die Frage des Wohnsitzes kann auch nicht deshalb offenbleiben, weil eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte entgegen der Ansicht des Klägers ohne weiteres auf Art. 7 Brüssel Ia-VO gestützt werden könnte; dies ist nicht der Fall.
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.06.2021 12:29
Quelle: Bayern.Recht

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