Otto Schmidt Verlag

BGH v. 9.7.2021 - V ZR 30/20

Grundstücksübertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter Geschwistern: Persönliches Zerwürfnis kann Geschäftsgrundlage entfallen lassen

Bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter Geschwistern ist die dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen der Parteien getragene Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des Vertrags. Ist das Verhältnis zwischen dem Übertragenden und dem Übernehmenden heillos zerrüttet, führt dies - vorbehaltlich vertraglicher Vereinbarungen - zu dem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Der Übertragende kann die Rechte aus § 313 BGB geltend machen, es sei denn, die Zerrüttung ist eindeutig ihm allein anzulasten.

Der Sachverhalt:
Im November 2013 übertrug der 1944 geborene Kläger, der zuvor einen schweren Herzinfarkt erlitten hatte, sein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück auf die Beklagte, seine Schwester. Als Gegenleistung bestellte diese dem Kläger ein Wohnrecht an bestimmten Räumen des Hauses und verpflichtete sich, ihn lebenslang zu betreuen und zu pflegen.

Die Beklagte wurde als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen und bezog das Haus zusammen mit ihrem Ehemann, ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn. In der Folgezeit kam es zu Streitigkeiten zwischen den Parteien. Ab Februar 2014 erbrachte die Beklagte keine Pflegeleistungen mehr. Im März 2014 erklärte der Kläger den Rücktritt von dem Vertrag, weil die Beklagte von ihm Miete verlange und ihn bedrängt und genötigt habe.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückübertragung des Grundstücks in Anspruch. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist erfolglos geblieben. Ein Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks gemäß § 323 Abs. 1 BGB scheitere daran, dass der Kläger es unterlassen habe, von der Beklagten unter Fristsetzung konkrete Pflegeleistungen zu verlangen.

Der BGH hat das Urteil teilweise aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Gründe:
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt es für den geltend gemachten Rückübertragungsanspruch auf die Erwägungen zu § 323 Abs. 1 BGB nicht an. Der Vertrag, in dem der Kläger der Beklagten das Grundstück übertragen und diese dafür eine Pflegeverpflichtung übernommen hat, ist zwar ein gegenseitiger Vertrag, auf den die Regelungen der §§ 320 ff. BGB anwendbar sind. Die Vorschrift des § 323 Abs. 1 BGB ist aber dennoch für das Verlangen des Klägers auf Rückübertragung des Grundstücks nicht einschlägig.

Der Kläger hat den Rücktritt nämlich nicht darauf gestützt, dass die Beklagte die geschuldeten Pflegeleistungen seit Februar 2014 nicht mehr erbringt. Er macht vielmehr geltend, es sei ihm aufgrund eines heillosen Zerwürfnisses nicht länger zumutbar, Pflegeleistungen der Beklagten anzunehmen. Dass zwischen den Parteien ein tiefgreifendes Zerwürfnis besteht, ist für das Revisionsverfahren zugunsten des Klägers zu unterstellen. Ist Grundlage des Anspruchs des Klägers auf Rückübertragung aber nicht die Nicht- oder Schlechtleistung der Pflege, sondern die Unzumutbarkeit der persönlichen Leistungen durch die Beklagte, bestimmt sich die Frage, ob ein Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks besteht, nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 BGB.

Die durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz eingeführte Vorschrift des § 313 Abs. 3 BGB sieht bei Wegfall der Geschäftsgrundlage die Rechtsfolge der Auflösung des Vertrags nunmehr dann vor, wenn eine Anpassung nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist (§ 313 Abs. 3 BGB).

Demnach war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren ist auf Folgendes hinzuweisen:

Der Übertragende kann die Rechte aus § 313 BGB geltend machen, es sei denn, die Zerrüttung ist eindeutig ihm allein anzulasten. Für diesen Ausnamefall ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig.

Sollten die Voraussetzungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage gegeben sein, hat das Berufungsgericht zu prüfen, ob der Kläger die Auflösung des Vertrags verlangen kann, weil ihm die vorrangige Vertragsanpassung nicht möglich oder ihm bzw. der Beklagten nicht zumutbar ist (§ 313 Abs. 3 Satz 1 BGB). Als eine solche vorrangige Vertragsanpassung könnte eine Zahlung in Geld durch die Beklagte anstelle der Sach- und Dienstleistungen in Betracht kommen, entweder in Form einer Rentenzahlung, wenn sie gesichert ist, oder in Form eines Kapitalbetrags, was die Zahlung eines „nachträglichen Kaufpreises“ bedeuten würde. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass nur die Auflösung des Vertrags in Betracht kommt, weil die vorrangige Anpassung nicht möglich ist, trägt der Kläger.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.09.2021 11:38
Quelle: BGH online

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