Otto Schmidt Verlag

BGH v. 29.9.2021 - XII ZB 474/20

Eheangemessener Unterhaltsbedarf beim Trennungsunterhalt zur Aufrechterhaltung des in der Ehe erreichten Lebensstandards

Der eheangemessene Unterhaltsbedarf beim Trennungsunterhalt ist im Falle einer konkreten Bedarfsbemessung nach den Kosten zu ermitteln, die für die Aufrechterhaltung des in der Ehe erreichten Lebensstandards erforderlich sind. Der konkrete Wohnbedarf entspricht dem, was der Unterhaltsberechtigte als Mieter (einschließlich Nebenkosten) für eine dem Standard der Ehewohnung entsprechende und angemessen große Wohnung aufzubringen hätte. Der Quotenunterhalt stellt unter Berücksichtigung eines objektiven Maßstabs im Hinblick auf die Halbteilung die Obergrenze auch bei der konkreten Bedarfsbemessung dar.

Der Sachverhalt:
Die antragstellende Ehefrau begehrt vom Antragsgegner (Ehemann) Trennungsunterhalt für die Zeit ab Juli 2017. Die Beteiligten schlossen im September 1994 die Ehe und leben seit September 2016 getrennt. Aus der Ehe sind fünf Kinder hervorgegangen: G, geboren am 2.12.1998, N (29.9.2000), H (9.6.2002), O (6.6.2004) und K (10.8.2006). Die Kinder leben bis auf G, die zwischenzeitlich ausgezogen ist, im Haushalt der Ehefrau. Sie werden von ihr betreut und erzogen. Der Ehemann ist Rechtsanwalt und bezieht als solcher Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit, Einkünfte aus einer Rechtsanwalts-Partnerschaftsgesellschaft, aus Vermietung und Verpachtung und Kapitalvermögen und hat teilweise Einkommensteuerrückerstattungen erhalten. Er leistet an die minderjährigen Kinder und an die inzwischen volljährige Tochter N Unterhalt. Die Ehefrau, die seit Mai 2015 in Teilzeit (80 %) als Richterin tätig ist, setzte den Ehemann bezogen auf den Trennungsunterhalt ab 1.7.2017 in Verzug. Der Ehemann zahlte an sie bis Dezember 2017 mtl. Trennungsunterhalt i.H.v. 1.500 €. Im Januar 2018 zahlte der Ehemann neben dem Kindesunterhalt i.H.v. rd. 2.500 € nochmals auf den Kindesunterhalt rd. 2.300 €, dessen Verwendungszweck er nachträglich auf "Trennungsunterhalt/gezahlt unter dem Vorbehalt der Rückforderung und Verrechnung" änderte.

Der eheliche Lebensbedarf der Ehegatten und ihrer Kinder wurde gedeckt durch das Einkommen der Ehefrau, mtl. Aufwendungen des Ehemanns i.H.v. rd. 6.000 € und im Bedarfsfall aus weiteren unregelmäßigen Zuzahlungen des Ehemanns von anderen Konten sowie - zumindest hinsichtlich des Bedarfs der Kinder - aus Mitteln einer Stiftung. Die Ehefrau legte ihren Unterhaltsbedarf im Wege der konkreten Bedarfsbemessung dar. Zuletzt beantragte sie, den Ehemann zu verpflichten, einen rückständigen Trennungsunterhalt für die Zeit ab Juli 2017 bis zum Februar 2019 von rd. 30.000 € nebst Zinsen zu zahlen, wobei auf diesen Betrag die unter Vorbehalt geleisteten Zahlungen des Ehemanns von rd. 2.300 € und 9.300 € anzurechnen seien. Ferner beantragte sie, den Ehemann zu verpflichten, für die Zeit vom März bis Dezember 2019 einen mtl. Trennungsunterhalt von rd. 2.000 € und für die Zeit ab Januar 2020 von rd. 1.900 € jeweils nebst Zinsen zu zahlen, wobei der ab März 2019 unter Vorbehalt gezahlte Unterhalt von rd. 660 € auf die Unterhaltsforderung anzurechnen sei. Demgegenüber begehrte der Ehemann - zunächst in einem isoliert geführten Verfahren - die Feststellung, dass er nicht verpflichtet sei, der Ehefrau einen Trennungsunterhalt i.H.v. mtl. 2.900 € zu zahlen.

Das AG verband beide Verfahren und verpflichtete den Ehemann, an die Ehefrau für die Zeit von Januar bis März 2018 einen mtl. Trennungsunterhalt i.H.v. rd. 1.000 € nebst Zinsen unter Anrechnung der im Januar 2018 an die Ehefrau geleisteten rd. 2.300 € zu zahlen. Für die Zeit von April bis Juli 2018 verpflichtete es den Ehemann, einen mtl. Trennungsunterhalt i.H.v. rd. 1.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Für August 2018 verpflichtete es den Ehemann, einen Trennungsunterhalt i.H.v. 425 € nebst Zinsen zu zahlen. Für die Zeit ab September 2018verpflichtete es den Ehemann schließlich, einen mtl. Trennungsunterhalt i.H.v. rd. 660 € nebst Zinsen zu zahlen. Ferner stellte das AG fest, dass das Feststellungsverfahren für Juli 2017 sowie bezogen auf die über den vom Amtsgericht zugesprochenen Unterhalt hinausgehenden Beträge, erledigt ist. Den weitergehenden negativen Feststellungsantrag des Ehemanns wies es ab. Das OLG wies die Beschwerde der Ehefrau zurück. Auf die Beschwerde des Ehemanns änderte es den amtsgerichtlichen Beschluss dahin ab, dass der Antrag der Ehefrau insgesamt abgewiesen wird. Außerdem stellte es fest, dass sich der Feststellungsantrag des Ehemanns erledigt hat.

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Die Ausführungen des OLG halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

Das OLG hat zutreffend erkannt, dass die Bemessung des Unterhaltsbedarfs auch beim Trennungsunterhalt wegen des sich aus § 1361 Abs. 1 Satz 1 BGB ergebenden Maßstabs der ehelichen Lebensverhältnisse entsprechend den auch für den nachehelichen Unterhalt nach § 1578 Abs. 1 BGB geltenden Grundsätzen erfolgt. Außerdem ist das OLG zu Recht davon ausgegangen, dass der Unterhaltsberechtigte bei sehr guten Einkommensverhältnissen ein Wahlrecht hat, nach welcher Methode er seinen Unterhalt bemessen will.

Schließlich ist die Annahme des OLG zutreffend, dass der Quotenunterhalt unter Berücksichtigung eines objektiven Maßstabs im Hinblick auf die Halbteilung die Obergrenze auch bei der konkreten Bedarfsbemessung darstellt. Ebenso zutreffend ist, dass die Ehefrau im Rahmen der konkreten Bedarfsermittlung keine Erwerbstätigenquote von ihrem Einkommen abziehen darf. Jedoch hat das OLG den zutreffenden Maßstab für den konkreten Wohnbedarf verkannt. Insoweit ist der Tatrichter nicht gehindert, den angemessenen Unterhaltsbedarf konkret durch die Feststellung der Kosten zu ermitteln, die für die Aufrechterhaltung des in der Ehe erreichten Lebensstandards erforderlich sind. Der Wohnbedarf entspricht dem, was der Unterhaltsberechtigte als Mieter (einschließlich Nebenkosten) für eine dem Standard der Ehewohnung entsprechende und angemessen große Wohnung aufzubringen hätte.

Eine Schätzung der Ausgaben kommt umso eher in Betracht, als die Bedarfsposition als existenziell notwendig anzusehen ist, wie das etwa bei einem Aufwand für Wohnen der Fall ist. Hinsichtlich des Wohnbedarfs kann daher für die Bemessung der Wohnungsgröße auf die Ehewohnung zurückgegriffen werden. Zusätzlich muss der Unterhaltsberechtigte alle zur Aufrechterhaltung seines bisherigen Lebensstandards benötigten Kosten wie Miete mit Nebenkosten darlegen. Gemessen hieran ist das OLG von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen. Das OLG hat verkannt, dass es bei der konkreten Unterhaltsbemessung um die Ermittlung aller zur Aufrechterhaltung des bisherigen Lebensstandards benötigten Lebenshaltungskosten geht. Anders als die Rechtsbeschwerdeerwiderung meint ist nicht der frühere in der Ehe entstandene Bedarf festzuschreiben. Es geht vielmehr darum, was der Unterhaltsberechtigte benötigt, um die ehelichen Lebensverhältnisse aufrechtzuerhalten, also um eine Fortschreibung des Bedarfs unter Berücksichtigung des Auszuges des Ehemanns.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 28.10.2021 15:17
Quelle: BGH online

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