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Aktuell im FamRB

Die familienbezogenen steuerpolitischen Maßnahmen des Koalitionsvertrags der Ampel (Kanzler, FamRB 2022, 71)

Der Beitrag beleuchtet die Vorhaben der Koalition zur Familienbesteuerung: Der Lohnsteuerabzug für Ehegatten und Lebenspartner soll künftig nur noch nach der bisher schon möglichen Steuerklassenkombination IV/IV mit dem sog. Faktorverfahren erfolgen, so dass die den höher verdienenden Partner begünstigende Lohnsteuerklasse III entfällt. Grundlegender ist die Absicht, eine Kindergrundsicherung für alle einzuführen und damit das geltende System des Familienleistungsausgleichs durch Kindergeld und Kinderfreibeträge zu ersetzen. Bis zur Einführung dieser Reform sollen Alleinerziehende eine Steuergutschrift erhalten. Im Übrigen ist eine moderate Erhöhung des Ausbildungsfreibetrags geplant und beabsichtigt, die partnerschaftliche Betreuung der Kinder getrenntlebender Paare auch durch einen Ausgleich betreuungsbedingter Mehrbelastungen zu fördern.

1. Familienbesteuerung als Gegenstand von Koalitionsvereinbarungen einst und jetzt
2. Familienbesteuerung nach dem Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP für die 20. Legislaturperiode

a) Der Streit um das Ehegattensplitting: Das die Familienbesteuerung beherrschende Thema
b) Reform der Familienbesteuerung nur im Lohnsteuerabzugsverfahren
3. Weitere familienbezogene Steueränderungen
a) Kindergrundsicherung für alle und Steuergutschrift für Alleinerziehende
b) Ausgleich betreuungsbedingter Mehrbelastungen
c) Erhöhung des Ausbildungsfreibetrags
4. Fazit und Ausblick


1. Familienbesteuerung als Gegenstand von Koalitionsvereinbarungen einst und jetzt

Familienpolitik und Familienbesteuerung sind von jeher Gegenstand von Koalitionsverträgen der letzten Jahrzehnte gewesen. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass die Koalitionspartner ihre familienpolitischen Vorstellungen unter dem Zwang, Kompromisse eingehen zu müssen, niemals in vollem Umfang umsetzen konnten. So ließen sich grundlegende in den jeweiligen Parteiprogrammen enthaltene Reformvorschläge zur Familienbesteuerung bisher nicht verwirklichen. Es blieb daher meist bei der Vereinbarung von Maßnahmen zur Erhöhung kinderbezogener Entlastungen und Änderungen der Struktur des Einkommensteuertarifs. Nachdem diese Anpassungen inzwischen mehr oder weniger automatisch erfolgen, weil der Gesetzgeber aufgrund der regelmäßig erstellten Existenzminimumberichte der Bundesregierung gehalten ist, tätig zu werden, sind auch diese Maßnahmen weitgehend der Reformpolitik entzogen. So wurden gegen Ende der vergangenen Legislaturperiode mit dem Zweiten Familienentlastungsgesetz  auf der Grundlage des 13. Existenzminimumberichts  der Grundfreibetrag und der Unterhaltshöchstbetrag angehoben, sowie Sätze des einkommensteuerrechtlichen Kindergelds erhöht; damit einher gingen Änderungen der Stufen des Einkommensteuertarifs zur Abmilderung der sog. kalten Progression, die für den Veranlagungszeitraum 2021 gelten und auf der Grundlage des 4. Steuerprogressionsberichts  bemessen wurden.

2. Familienbesteuerung nach dem Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP für die 20. Legislaturperiode

a) Der Streit um das Ehegattensplitting: Das die Familienbesteuerung beherrschende Thema

Der am 24.11.2021 nach beachtlich kurzer Zeit der Verhandlungen zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vorgelegte Koalitionsvertrag trägt die Haupt-Überschrift „MEHR FORTSCHRITT WAGEN“ und wird ergänzt durch den in geringerem Schriftgrad und kursiv gesetzten Zusatz „BÜNDNIS FÜR FREIHEIT, GERECHTIGKEIT UND NACHHALTIGKEIT“ . Dem steuerrechtlichen Programm der Koalition ist weder ein eigenständiges Kapitel gewidmet noch finden sich zusammengefasst konkrete Aussagen zur Familienbesteuerung. Das ist deshalb bemerkenswert, weil sich alle Koalitionspartner vor der Wahl zur Ehegattenbesteuerung positioniert hatten. So hatte die SPD bereits in ihrem „Fortschrittsprogramm“ aus dem Jahr 2011 die Abschaffung des Ehegattensplittings angekündigt. Bündnis 90/Die Grünen hatten verschiedene Reformmodelle vorgestellt, die u.a. eine Abschmelzung des Splittingvorteils und eine Deckelung auf 1.500 € oder eine Individualbesteuerung anstelle des Ehegattensplittings mit einem übertragbaren Höchstbetrag von 10.000 € vorsahen. Dagegen wollte die FDP – ebenso wie die CDU/CSU – am Splittingverfahren festhalten; sie trat allerdings im Jahr 2006 dafür ein, die Lohnsteuerklasse V abzuschaffen.

b) Reform der Familienbesteuerung nur im Lohnsteuerabzugsverfahren
Im Koalitionsvertrag findet sich eine Äußerung zur „Familienbesteuerung“ nur unter dem Stichwort „Ökonomische Gleichstellung“, das dem Abschnitt „Gleichstellung“ (S. 114) und dem Kapitel VI. „Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in der modernen Demokratie“ zugeordnet ist. Dort heißt es zu den Zeilen 3871 ff.: „Wir wollen die Familienbesteuerung so weiterentwickeln, dass die partnerschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche Unabhängigkeit mit Blick auf alle Familienformen gestärkt werden. Im Zuge einer verbesserten digitalen Interaktion zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung werden wir die Kombination aus den Steuerklasse III und V in das Faktorverfahren der Steuerklasse IV überführen, das dann einfach und unbürokratisch anwendbar ist und mehr Fairness schafft.“

Damit hat sich die FDP mit ihrem Vorschlag aus dem Jahre 2006 durchgesetzt und ganz entgegen den steuerpolitischen Absichten ihrer Koalitionspartner zugleich den Fortbestand des Ehegattensplittings festgeschrieben. Denn die Lohnsteuerklasse IV betrifft allein die Fälle der Zusammenveranlagung von Ehegatten oder Lebenspartnern bei beiderseitigem Lohnbezug mit der Pflicht zur Einkommensteuerveranlagung bei Anwendung des Faktorverfahrens (§ 46 Abs. 2 Nr. 3a EStG).

Mit dem durch das JStG 2009 eingeführten Faktorverfahren wird es Ehegatten bzw. Steuerpflichtigen in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, die beide nach der Lohnsteuerklasse IV besteuert werden, ermöglicht, Steuernachzahlungen durch eine gerechtere ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 01.02.2022 14:09
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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