Otto Schmidt Verlag

OLG Karlsruhe v. 24.1.2022 - 10 W 8/21

Wenn mehrere Kinder zur Einzelvertretung berechtigende (Vorsorge-)Vollmachten vom (Stief-)Vater erhalten

Werden mehreren Personen zur Einzelvertretung berechtigende (Vorsorge-)Vollmachten erteilt, ermächtigen diese regelmäßig nicht zum Widerruf der (Vorsorge-)Vollmachten der weiteren Einzelvertretungsberechtigten. Andernfalls wäre der Wunsch des Vollmachtgebers, mehreren Personen eine Einzelvertretungsmacht einzuräumen, ständig der Gefahr ausgesetzt, nach dem „Windhundprinzip“ konterkariert zu werden, indem jeder Einzelbevollmächtigte fortlaufend gewärtigen müsste, seine Vollmacht werde durch einen anderen Bevollmächtigten widerrufen.

Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte dem Beklagten, der sein Stiefsohn ist, sowie drei leiblichen Kindern im November 2016 jeweils eine zur Einzelvertretung berechtigende notarielle Vorsorge- und Generalvollmacht erteilt. Im März 2018 widerrief eines der leiblichen Kinder durch Rechtsanwaltsschreiben die dem Beklagten erteilte Vorsorgevollmacht und forderte die Herausgabe der diesbezüglichen Vollmachtsurkunde. Mit eigenhändig unterzeichnetem Schreiben vom 20.11.2020 widerrief der Kläger gegenüber dem Beklagten die Vollmacht erneut und verlangte die Herausgabe der Vollmachtsurkunde. Der Aufforderung, die Vollmachtsurkunde herauszugeben, kam der Beklagte jeweils nicht nach.

Am 17.3.2021 gab der Beklagte die Vollmachtsurkunde an den Kläger heraus, woraufhin beide Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärten. Das LG verpflichtete den Beklagten zur Tragung der Kosten des Rechtsstreits. Die dem Beklagten erteilte notarielle Vollmacht sei durch den Kläger mit Schreiben vom 20.11.2020 wirksam widerrufen worden.

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten hat das OLG den Beschluss des LG abgeändert und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt.

Die Gründe:
Es entsprach vorliegend der Billigkeit, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Denn unter Würdigung des maßgeblichen Sach- und Streitstands stand dem Kläger zur Zeit des erledigenden Ereignisses kein Anspruch gegen den Beklagten auf Herausgabe der Vollmachtsurkunde aus § 175 BGB zu. Die Vollmacht war zu diesem Zeitpunkt nicht wirksam widerrufen worden.

Mit der Erteilung einer Vorsorgevollmacht an eine Person ist regelmäßig nicht die Bevollmächtigung zum Widerruf einer gleichzeitig einer weiteren Person erteilten Vorsorgevollmacht und daher auch nicht zur Erteilung einer entsprechenden Unterbevollmächtigung verbunden. Denn andernfalls wäre der Wunsch des Vollmachtgebers, mehreren Personen eine Einzelvertretungsmacht einzuräumen, ständig der Gefahr ausgesetzt, nach dem „Windhundprinzip“ konterkariert zu werden, indem jeder Einzelbevollmächtigte fortlaufend gewärtigen müsste, seine Vollmacht werde durch einen anderen Bevollmächtigten widerrufen. Jeder Bevollmächtigte könnte sich so die Position eines ausschließlich Bevollmächtigten verschaffen, und dies - jedenfalls nach Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des (Vorsorge-)Vollmachtgebers - sogar dauerhaft. Dies hatte der Vollmachtgeber jedoch ersichtlich nicht gewollt, als er sich dafür entschied, mehreren Personen eine Einzelvertretungsbefugnis zu erteilen, weshalb im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) im Regelfall - und so auch hier - eine entsprechende konkludente Beschränkung der Vertretungsmacht jedes Einzelbevollmächtigten zu ermitteln ist.

Soweit sich der Kläger auf einen Widerruf der Vollmacht durch eigenhändiges Schreiben vom 20.11.2020 berufen hatte, hat der Beklagte mit der Beschwerdeschrift eingewandt, der Kläger sei zu diesem Zeitpunkt bereits geschäftsunfähig gewesen. Dieser Vortrag ist im Beschwerdeverfahren unstreitig geblieben.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.02.2022 09:24
Quelle: Landesrechtsprechung Baden-Württemberg

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