Otto Schmidt Verlag

Kurzbesprechung

Steuerfreie Leistungen der Verfahrenspfleger

Die nach §§ 276, 317 FamFG gerichtlich bestellten Verfahrenspfleger für Betreuungs- und Unterbringungssachen können sich auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen.

BFH v. 25. 11. 2021 - V R 34/19

EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst g
UStG § 4 Nr. 16 Buchst k, § 4 Nr. 25 S 3 Buchst c, § 15 Abs 2 S 1 Nr. 1
FamFG § 158, § 276, § 317


Die Beteiligten streiten (nur) noch über die Steuerfreiheit der Umsätze des Steuerpflichtigen als Verfahrenspfleger für Betreuungs- und Unterbringungssachen in 2014 und 2015 (Streitjahre).

Die Leistungen des Steuerpflichtigen als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen sind weder nach § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG noch nach § 4 Nr. 25 UStG von der Umsatzsteuer befreit. Die Umsätze des Steuerpflichtigen sind aber nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL von der Umsatzsteuer befreit. Der Steuerpflichtige erbringt begünstigte Leistungen sozialen Charakters und er ist auch als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt. Die Leistungen des Steuerpflichtigen als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen sind "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen". Diese Voraussetzungen erfüllen auch die im Vorfeld der Bestellung eines Betreuers tätigen Verfahrenspfleger nach § 276 FamFG sowie die vor Anordnung einer (geschlossenen) Unterbringung tätigen Verfahrenspfleger nach § 317 FamFG.

"Betroffene" in diesem Sinne sind beim Verfahrenspfleger für Betreuungssachen volljährige Personen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen können (§ 1896 Abs. 1 BGB). Von Unterbringungsverfahren betroffen sind insbesondere Personen, bei denen aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Gefahr besteht, dass sie sich selbst gefährden oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen und daher eine --zivilrechtliche (§ 1906 BGB) oder öffentlich-rechtliche (nach den Landesgesetzen über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten)-- Unterbringung erforderlich erscheint.

In beiden Fällen erbringt der Verfahrenspfleger Leistungen an (hilfsbedürftige) Personen. Denn zu diesen gehören auch Erwachsene, deren geistige Fähigkeiten infolge Krankheit, Behinderung oder Gebrechlichkeit stark beeinträchtigt sind.

Der Qualifikation als Sozialleistung steht nicht entgegen, dass als Verfahrenspfleger im Regelfall Anwälte bestellt werden. Denn der Verfahrenspfleger wird mit dem Akt der Bestellung zum Beteiligten und hat damit die Aufgabe, die Interessen des Betroffenen wahrzunehmen, ohne an dessen Weisungen gebunden zu sein. Der Verfahrenspfleger ist nach der gesetzlichen Ausformung ein "besonderer Pfleger", der für seine Aufgaben anwaltliche Qualifikationen mitbringen kann, aber nicht notwendigerweise mitbringen muss. Die Verfahrenspflegschaft ist daher keine anwaltsspezifische oder dem Anwaltsberuf vorbehaltene Tätigkeit.

Im Streitfall folgt die Anerkennung des Steuerpflichtigen als soziale Einrichtung aus dem Bestehen spezifischer Vorschriften für Verfahrenspfleger, deren Tätigkeit im Gemeinwohlinteresse sowie aus der Anerkennung anderer Steuerpflichtiger mit gleichen Tätigkeiten ("Neutralitätsprinzip"). Aufgrund der Steuerfreiheit der Leistungen des Steuerpflichtigen als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen ist über die sich hieraus ergebenden Einschränkungen beim Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG) zu entscheiden. Der Steuerpflichtige hatte weder in seinen Schriftsätzen noch in seinem Revisionsantrag bezifferte Angaben zu dem auf die steuerfreien Umsätze entfallenden Vorsteuerabzug gemacht und das FG hatte --aus seiner Sicht zu Recht-- hierzu auch keine Feststellungen getroffen. Diese sind daher im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

Für das Streitjahr 2015 hatte das FG festgestellt, dass keine Umsätze als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen getätigt wurden. Das FG wird im Rahmen des zweiten Rechtsgangs festzustellen haben, ob und bejahendenfalls in welcher Höhe derartige Umsätze tatsächlich vorliegen. Sofern dies der Fall sein sollte, sind diese Umsätze umsatzsteuerfrei zu stellen und der Vorsteuerabzug entsprechend zu kürzen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG).



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.03.2022 15:41
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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