Otto Schmidt Verlag

BGH v. 23.2.2022 - XII ZB 218/21

Verfahrenskostenhilfe: Feststellung fehlender Bedürftigkeit im zweiten Rechtszug

Ist einem Rechtsmittelführer bereits für den ersten Rechtszug Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden, kann er bei im Wesentlichen gleichen Angaben zu den Vermögensverhältnissen erwarten, dass auch das Gericht des zweiten Rechtszugs ihn als bedürftig ansieht. Haben sich nach der erstinstanzlichen Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wesentliche Änderungen ergeben, etwa weil im Hauptsacheverfahren die Verwertbarkeit von Immobilienvermögen abweichend beurteilt worden ist, muss der Rechtsmittelführer in der Beschwerdeinstanz mit der Ablehnung des Verfahrenskostenhilfegesuchs wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen.

Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin wendet sich in einem Verfahren, in dem sie den Antragsgegner, ihren zwischenzeitlich rechtskräftig geschiedenen Ehemann, auf Zahlung von Verfahrenskostenvorschüssen in Anspruch nimmt, gegen die Zurückweisung ihres Wiedereinsetzungsantrags und die Verwerfung ihrer Beschwerde.

Das AG wies, nachdem es der Antragstellerin mit Beschluss vom 11.10.2019 Verfahrenskostenhilfe bewilligt hatte, durch Endbeschluss vom 6.11.2020, zugestellt am 10.11.2020, ihren Antrag auf Zahlung von Verfahrenskostenvorschüssen ab. Das OLG lehnte ihren rechtzeitig eingegangenen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe für eine Beschwerde gegen diese Entscheidung mangels Bedürftigkeit mit ihr am 5.2.,2021 zugegangenem Beschluss vom 28.1.2021 ab. Mit einem am 17.2.2021 eingegangenen Schriftsatz legte die Antragstellerin Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung ein und stellte zugleich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerde- und Beschwerdebegründungfrist. Mit Schriftsatz vom 1.3.2021 begründete die Antragstellerin die Beschwerde. Das OLG wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück und verwarf die Beschwerde.

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Nach ständiger BGH-Rechtsprechung ist dem Rechtsmittelführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsmitteleinlegungsfrist zu bewilligen, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist ein vollständiges Verfahrenskostenhilfegesuch eingereicht hat und vernünftigerweise nicht damit rechnen musste, dass der Antrag wegen fehlender Bedürftigkeit abgelehnt werde (Senatsbeschluss vom 23.9.2020 - XII ZB 94/20, FamRZ 2021, 209 Rn. 13 mwN).

Wenn dem Rechtsmittelführer bereits für den ersten Rechtszug Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden ist, kann er bei im Wesentlichen gleichen Angaben zu den Vermögensverhältnissen in der Regel erwarten, dass auch das Gericht des zweiten Rechtszuges ihn als bedürftig ansieht. Der Beteiligte braucht grundsätzlich nicht damit zu rechnen, dass das Rechtsmittelgericht strengere Anforderungen an den Nachweis der Bedürftigkeit stellt als das Erstgericht. War die Erwartung einer Verfahrenskostenhilfebewilligung hingegen nicht gerechtfertigt, weil der Beteiligte oder sein Vertreter erkennen konnte, dass die subjektiven Voraussetzungen für die Verfahrenskostenhilfe nicht erfüllt waren, scheidet eine Wiedereinsetzung allerdings aus. Dem trägt die angefochtene Entscheidung hinreichend Rechnung.

Zwar weist die Rechtsbeschwerde zu Recht darauf hin, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin gegenüber dem Zeitpunkt der Entscheidung über ihr erstinstanzlich gestelltes Verfahrenskostenhilfegesuch nicht maßgeblich geändert haben. Denn sie hatte bereits zu diesem Zeitpunkt in der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse angegeben, dass sie hälftige Miteigentümerin einer Wohnung in M sowie Alleineigentümerin einer Wohnung in W ist. Gleichwohl konnte die Antragstellerin im vorliegenden Fall nicht darauf vertrauen, dass ihr auch für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt wird. Dabei kann dahinstehen, ob die anwaltlich vertretene Antragstellerin überhaupt ein schutzwürdiges Vertrauen dahin bilden konnte, dass sie in ihrem hälftigen Miteigentum bzw. Alleineigentum stehende und von ihr nicht bewohnte Immobilien nicht für die von ihr aufzubringenden Verfahrenskosten einzusetzen hat.

Jedenfalls durfte die Antragstellerin nicht mehr darauf vertrauen, dass ihr auch für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt wird, nachdem ihr Antrag auf Verfahrenskostenvorschuss nach § 1360 a Abs. 4 Satz 1 BGB in der angegriffenen Entscheidung vom 6.11.2020 mit der Begründung abgelehnt worden war, sie habe ihre Bedürftigkeit, also das Fehlen ausreichender eigener finanzieller Mittel, um die Kosten der Verfahren zu tragen, nicht bewiesen. Auch wenn für die Frage der Bedürftigkeit i.S.v. § 1360 a Abs. 4 Satz 1 BGB der Maßstab der §§ 114 ff. ZPO nicht gilt, konnten die Antragstellerin und ihre Verfahrensbevollmächtigten dadurch ohne weiteres erkennen, dass die subjektiven Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht erfüllt sein könnten und das Beschwerdegericht trotz der erstinstanzlichen Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu einer davon abweichenden Entscheidung gelangt.

Die Antragstellerin ist hälftige Miteigentümerin einer schuldenfreien Eigentumswohnung in M. Da diese Wohnung nicht vermietet ist und der Antragsgegner im erstinstanzlichen Verfahren seine Zustimmung zu einer Veräußerung der Wohnung erklärt hat, verfügt die Antragstellerin allein schon deshalb über einen Vermögenswert, dessen wirtschaftliche Verwertung ihr zur Bestreitung der Verfahrenskosten zumutbar ist. Eine Veräußerung der Wohnung in M wäre auch kurzfristig möglich. Berechtigte Belange, die gegen eine Veräußerung dieser Eigentumswohnung sprächen, hat die Antragstellerin nicht vorgetragen. Zudem verfügt die Antragstellerin unstreitig über eine weitere Eigentumswohnung in W. Der auf die Antragstellerin entfallende (hälftige) Veräußerungserlös wäre auch ausreichend, um die im vorliegenden Verfahren anfallenden Verfahrenskosten zu tragen.

Mehr zum Thema:

  • Aufsatz: Giers – Die Vollstreckung von Unterhaltstiteln in Einkommen und Konten (FamRB 2022, 156)
  • Aufsatz: Brenner – Der Begriff des Einleitens eines Hauptsacheverfahrens gemäß § 52 Abs. 2 FamFG nach Erlass einer einstweiligen Anordnung (FamRZ 2022, 414)
  • Aktionsmodul Familienrecht
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.03.2022 11:27
Quelle: BGH online

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