Otto Schmidt Verlag

Aktuell im FamRB

Die englisch-deutschsprachigen Familienrichterkonferenzen - internationales Familienrecht "at its best" (Menne, FamRB 2022, 162)

Es gibt sie noch, die echten, unentdeckten „Perlen“ unter den internationalen Tagungen und Gesprächsformaten. Dazu gehört ohne Zweifel die englisch-deutschsprachige Richterkonferenz, die im Allgemeinen in einem losen Zwei-Jahresturnus entweder in einem englischsprachigen oder einem deutschsprachigen, europäischen Land stattfindet. Bei ihr handelt es sich um eine sehr kleine, außerordentlich feine und sowohl auf Teilnehmer- als auch auf Referentenseite regelmäßig äußerst „hochkarätig“ besetzte Konferenz, die sich in den deutlich mehr als zwanzig Jahren, seitdem sie bereits besteht, zu einem der wichtigsten Treffen der europäischen justiziellen Zusammenarbeit im Familienrecht entwickelt hat. Sie erweist sich, wie es in der Abschlussresolution der bislang letzten, am 14./15.10.2021 von Irland online ausgerichteten Konferenz heißt, als „wirkmächtiges Mittel zur Ermöglichung von Kommunikation und führt zu fruchtbringenden Diskussionen zwischen Richtern und Parteienvertretern in den betreffenden Gerichtsbarkeiten“. Ausgehend von einer von Dr. Robert Fucik, dem langjährigen Leiter der Abteilung für internationales Personen- und Familienrecht im österreichischen Bundesministerium für Justiz und zugleich österreichischem Vertreter im „steering committee“ der Konferenz verfassten Beschreibung des Tagungsformats sollen die Entstehung, die Arbeit und die erzielten Ergebnisse der Englisch-deutschsprachigen Richterkonferenz im Folgenden vorgestellt und ein kleiner Ausblick auf künftige Entwicklungen unternommen werden.

Zugleich Besprechung von Fucik (Hrsg.), Englisch-deutschsprachige Familienrichterkonferenzen (2020)


1. Entstehung und weitere Entwicklung der Tagung
2. Aus der Arbeit der Konferenz

a) Schaffung einer Zuständigkeitskonzentration in Kindesentführungsverfahren
b) Die Anhörung von Kindern durch das Familiengericht
c) Schaffung eines Forums für das Verbindungsrichterwesen
d) Persönlicher Austausch von Richterinnen und Richtern
3. Ausblick


1. Entstehung und weitere Entwicklung der Tagung

Der entscheidende Anstoß zur Begründung der zunächst als German-British Conference bezeichneten Veranstaltung kam im Verlauf der 1990er Jahre von Sir Mathew Thorpe, Lord Justice of Appeal vom Court of Appeal of England and Wales und später, bis zu seiner Pensionierung, zusätzlich auch Head of International Family Justice for England and Wales. Bereits als Richter an der Family Division des High Court of Justice for England and Wales wies er auf die Probleme hin, die sich durch die damals stark ansteigende Anzahl von Familienrechtsfällen mit internationalem Bezug ergaben und die ebenfalls zunehmenden Rückführungsverfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen. Denn das Haager Kindesentführungsübereinkommen war im Vereinigten Königreich bereits im August 1986 und einige Jahre später, im Dezember 1990, auch in Deutschland in Kraft getreten. Um den in der forensischen Praxis aufgetretenen Schwierigkeiten wirksam zu begegnen, regte Thorpe LJ an, Richterinnen und Richter, Praktiker und Rechtswissenschaftler sowie Regierungsvertreter mit einem besonderen Interesse am internationalen Familienrecht zusammenzubringen, um wechselseitig Informationen auszutauschen und miteinander Angelegenheiten des gemeinsamen Interesses zu erörtern. Zweiter großer Förderer der Konferenz auf englischer Seite war (und ist) Nigel Lowe, mittlerweile emeritierter Professor an der Cardiff University in Cardiff/Wales, weltweit anerkannter Spezialist für Kindschaftsrecht und Mitautor von „Bromley’s Family Law“, dem führenden englischen Familienrechtswerk. Gesprächspartner auf deutscher Seite bei der Begründung des Formats waren neben Rechtslehrern der Johannes-Wolfgang Goethe Universität Frankfurt/M. insbesondere Jörg Pirrung, der damalige Leiter des IPR-Referates im Bundesministerium der Justiz in Bonn, sowie Siegfried Willutzki, seinerzeit Vorsitzender des Deutschen Familiengerichtstages. Aufgrund der damals allgemein als unbefriedigend empfundenen Situation bei der praktischen Bewältigung von internationalen Kindesentführungsverfahren durch Familiengerichte in Deutschland fiel der englische Vorschlag eines Richter- und Expertengesprächs auf fruchtbaren Boden.

Geplant wurde deshalb eine bilaterale interdisziplinäre Konferenz zu aktuellen Problemen des Familienrechts, insbesondere des internationalen Kindschaftsrechts und zu HKÜ-Rückführungsverfahren. Nachdem das größte – im Übrigen leider unverändert bis heute fortbestehende – Problem, nämlich die Finanzierung des Vorhabens mit Hilfe von großzügigen Spenden gelöst und auf deutscher Seite erhebliche kompetenzrechtliche Bedenken überwunden werden konnten, fand die erste Tagung im Mai 1997 in Dartington Hall statt, einer gemeinnützigen Tagungsstätte im Devonshire an der englischen Südküste. Bereits das erste Treffen war ein durchschlagender Erfolg und schuf die Basis für das gegenseitige Vertrauen und die Verbundenheit, aus dem in der Folgezeit viele weitere, wichtige Initiativen hervorgegangen sind.

Die Gegenkonferenz mit einem Schwerpunkt bei aktuellen englischen und deutschen Familienrechtsreformen fand bereits im Herbst 1998 an der Deutschen Richterakademie in Wustrau unter Beteiligung von Richtern des BVerfG und des BGH statt. Nachdem weitere Tagungen in Schottland – im Jahr 2000 in Edinburgh –, in Trier (im September 2002), und in Wales (Cardiff, September 2004) folgten, schloss sich – nachdem in Edinburgh erstmals irische Delegierte teilgenommen hatten – mit Irland ein weiteres, englischsprachiges Land der Tagungsreihe an und war sogleich Gastgeber der sechsten Tagung in Dublin im September 2006. Konsequenterweise wurde der Name der Tagungsreihe damals in die bis heute beibehaltene Bezeichnung Anglophone-Germanophone Judicial Conference on International Family Law geändert.

Da das österreichische Justizministerium bereits 2002 nach Trier einen hochrangigen Beobachter entsandt hatte, schloss sich Österreich der Konferenz an und richtete im September 2008 eine weitere Tagung im prächtigen Schloss Altkettenhof aus, der österreichischen Justizschule in Schwechat bei Wien. Die nächste, von deutscher Seite organisierte Tagung fand im September 2010 im Bundesministerium der Justiz in Berlin statt. Erstmals nahmen deutschsprachige Richterinnen und Richter vom LG Bozen/Tribunale di Bolzano in Südtirol sowie eine starke schweizerische Delegation teil. Das bereitete den Boden für die Mitwirkung der Schweiz als weiterem (überwiegend) deutschsprachigen Land an der Tagungsreihe und führte zur Ausrichtung einer sehr erfolgreichen Konferenz in Thun im September 2012, bei der auch die liechtensteinische Justiz vertreten war. Die Konferenz zum 10-jährigen Jubiläum der mittlerweile gut eingeführten Veranstaltung fand aufgrund von erneuten Schwierigkeiten bei der Finanzierung erst drei Jahre später, im März 2015 in der Cumberland Lodge im Park von Schloss Windsor statt. Gastgeber der elften Konferenz war wiederum Österreich (Wien-Schwechat, Juni 2018). Die Folgekonferenz hat sich aufgrund von erneuten Schwierigkeiten in der Finanzierung, insbesondere aber durch den Ausbruch der Corona-Pandemie leider verzögert; sie fand erst im Herbst 2021 zum zwölften Mal als zweitägige, von Irland ausgerichtete Online-Tagung statt.

Da Teilnehmer und Referenten der Konferenz beruflich in aller Regel bereits sehr stark belastet sind, dauert die Veranstaltung zumeist nur zwei, drei Tage, die dafür aber mit Vorträgen und Diskussionen dicht bepackt sind und die von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern regelmäßig mit großem Enthusiasmus in persönlichen Gesprächen fortgesetzt werden. Organisation und Vorbereitung der Tagung obliegt einem im Anschluss an die Trierer Tagung 2002 gebildeten steering committee, das derzeit aus dem Head of International Family Justice for England and Wales, Sir Andrew Moylan LJ und den Abteilungs- bzw. Referatsleitern für Internationales Familien- bzw. Internationales Privatrecht im österreichischen Bundesministerium für Justiz, Dr. Robert Fucik, bzw. seinem „Gegenstück“ im deutschen Bundesministerium der Justiz, Ulrike Janzen, sowie der Leiterin der Schweizerischen Zentralen Behörde für internationalen Kindesschutz im Berner Bundesamt für Justiz, Joëlle Schickel-Küng, besteht. Ihnen fällt die Aufgabe zu, den groben thematischen Rahmen zu entwickeln, wohingegen...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 29.03.2022 10:44
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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