Otto Schmidt Verlag

Saarländisches OLG v. 18.2.2022, 6 UF 5/22

Pflicht zur Kindesanhörung gilt auch im Eilverfahren

Von der persönlichen Anhörung des Kindes kann in einem Kindesschutzverfahren nach §§ 1666 f. BGB in aller Regel nicht deshalb abgesehen werden, weil das Kind bereits in einem vorangegangenen Umgangsverfahren persönlich angehört wurde. Dies gilt umso mehr, wenn diese Anhörung nicht vom selben erkennenden Gericht durchgeführt wurde.

Der Sachverhalt:
Aus der rechtskräftig geschiedenen Ehe der Beschwerdeführerin (Mutter) und des Beteiligten zu 2) (Vater) ist die am 13.9.2015 geborene M. hervorgegangen. Beide Elternteile leben jeweils mit neuen Lebenspartnern und weiteren Kindern – die Mutter mit M.s Halbschwester, die einer früheren Beziehung entstammt, und der Vater mit den Kindern seiner Lebensgefährtin – zusammen. Im selben Haus wie der Vater lebt der Onkel der Mutter. Dieser hatte M. in Zeiten der Abwesenheit des Vaters – zumindest in der Vergangenheit – regelmäßig betreute. Die Kindeseltern waren sich zunächst einig, dass M. ihren Lebensmittelpunkt bei der Mutter haben sollte.

In dem im November 2020 vom Vater eingeleiteten Umgangsverfahren mit dem Ziel, ein paritätisches Wechselmodell zu etablieren, trafen die Eltern eine – nicht gerichtlich gebilligte - Zwischenvereinbarung zum Umgang, wonach (u.a.) der Vater alle vier Wochen von freitags bis mittwochs sowie ab Januar 2021 alle vier Wochen freitags bis donnerstags sein Umgangsrecht ausüben sollte. In diesem Verfahren wurde M. von der Familienrichterin im Beisein ihres bestellten Verfahrensbeistandes persönlich angehört.

In einem im April 2021 vom Vater eingeleiteten Sorgerechtsverfahren erstrebten die Eltern zuletzt wechselseitig das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht. In den beiden zuletzt genannten Verfahren ordnete das Familiengericht jeweils die Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens an. Die Begutachtungen sind noch nicht abgeschlossen.

Auf eine Mitteilung des Verfahrensbeistandes an das Familiengericht aus November 2021, wonach gehäuft sexualisierte Verhaltensweisen des Kindes beobachtet worden seien, hat das Familiengericht von Amts wegen das vorliegende Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz eingeleitet und mit Beschluss vom selben Tage den Verfahrensbeistand auch in dieser Sache bestellt. Durch den angefochtenen Beschluss hat das Familiengericht der Mutter untersagt, Umgang zwischen dem Kind und ihrem Lebensgefährten zu ermöglichen oder zu dulden sowie während des Umgangs mit ihrem Kind in ihrer Wohnung ihrem Lebensgefährten die Nutzung der Wohnung oder den Aufenthalt dort zu ermöglichen oder diesen zu dulden.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Mutter vor dem OLG war erfolgreich.

Die Gründe:
Das Familiengericht hat insbesondere hinsichtlich der Anordnungen gegenüber der Mutter mit Bezug auf Kontakte zwischen ihrem Lebensgefährten und M. im Ausgangspunkt unbedenklich unter dem Blickwinkel des § 1666 BGB getroffene Endentscheidung erlassen, ohne das Kind persönlich angehört zu haben.

Gem. § 159 Abs. 1 FamFG in der ab dem 1.7.2021 anzuwendenden Fassung hat das Familiengericht das Kind persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen. Diese Verpflichtung ist nach der Neuregelung unabhängig vom Alter des Kindes und gilt auch im einstweiligen Anordnungsverfahren. Unbeschadet dessen sind Kinder in einem ihre Person betreffenden Verfahren jedenfalls bereits ab einem Alter von etwa drei Jahren persönlich anzuhören.

Von der persönlichen Anhörung des Kindes kann in einem Kindesschutzverfahren nach §§ 1666 f. BGB in aller Regel nicht deshalb abgesehen werden, weil das Kind bereits in einem vorangegangenen Umgangsverfahren persönlich angehört wurde. Dies gilt umso mehr, wenn diese Anhörung nicht vom selben erkennenden Gericht durchgeführt wurde.

Auch eine Eilbedürftigkeit in dem Maße, dass eine Anhörung und die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks wegen Gefahr in Verzug vor der Entscheidung nicht hätten stattfinden können, ist im angegriffenen Beschluss nicht festgestellt und hat angesichts der stattgefundenen persönlichen Anhörungen der übrigen Beteiligten vor Erlass des Beschlusses erkennbar auch nicht vorgelegen; die Verfahrenshandlung ist im Übrigen auch nicht unverzüglich nachgeholt worden (§ 159 Abs. 3 S. 2 FamFG).

Schon die zu Unrecht unterbliebene Kindesanhörung – die sowohl die gerichtliche Pflicht zur ordnungsgemäßen Gehörsgewährung als auch die richterliche Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) verletzt – begründet einen schwerwiegenden Verfahrensfehler, aufgrund dessen der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache nach § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG antragsgemäß an das Familiengericht zurückzuverweisen war.

Mehr zum Thema:



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 04.05.2022 16:12
Quelle: Bürgerservice Saarland

zurück zur vorherigen Seite