Otto Schmidt Verlag

OLG Frankfurt a.M. v. 18.5.2022 - 6 UF 42/22

Wohnungszuweisung zwischen zwei querschnittsgelähmten Ehegatten nach Scheidung

Die Zuweisung einer gemeinsamen Ehewohnung nach Scheidung eines kinderlosen Ehepaares richtet sich vorrangig danach, wer stärker auf ihre Nutzung angewiesen ist. Sind beide Ehegatten querschnittsgelähmt, sind in die Abwägung insbesondere der Grad der Pflegebedürftigkeit sowie die sozialen Bindungen an das Umfeld einzubeziehen.

Der Sachverhalt:
Die Beteiligten hatten 2005 geheiratet und sind seit 2021 rechtskräftig geschieden. Die Ehe blieb kinderlos. Beide streiten seitdem um die Überlassung der in ihrem Miteigentum befindlichen Ehewohnung. Diese befindet sich im Elternhaus des Antragstellers. Die 130 qm große Wohnung verfügt über ein Wohn- und ein Schlafzimmer, eine Küche, einen Flur, einen Anbau und zwei behindertengerechte Bäder. Gegenwärtig nutzt der Antragsteller das Schlafzimmer und ein Bad und die Antragsgegnerin das Wohnzimmer und ein Bad.

Der Antragsteller ist seit 1984 querschnittsgelähmt und auf tägliche Pflege in Form der Unterstützung beim An- und Entkleiden sowie beim Toilettengang angewiesen. Seine seit 2018 beschäftigte Pflegekraft ist mittlerweile seine Lebensgefährtin. Die Antragsgegnerin ist seit 1976 querschnittsgelähmt und ebenfalls, wenn auch nicht im selben Umfang, auf eine Pflegekraft angewiesen. Sie benötigt keine Hilfe beim Toilettengang.

Das AG hatte die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller die Wohnung ab dem 1.7.2022 zur alleinigen Nutzung zu überlassen. Das OLG verlängerte nun die Frist bis zum 1.11.2022 und wies im Übrigen die Beschwerde der Antragsgegnerin zurück. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Die Gründe:
Ein Ehegatte kann die Überlassung der Ehewohnung anlässlich der Scheidung u.a. dann verlangen, wenn er auf deren Nutzung in stärkerem Maße angewiesen ist als der andere oder wenn die Überlassung aus anderen Gründen der Billigkeit entspricht. Dabei sind sämtliche die Lebensverhältnisse der Ehegatten bestimmenden Umstände in eine Gesamtabwägung einzustellen.

Im vorliegenden Fall ist der Antragsteller insbesondere wegen der erforderlichen Anwesenheit einer Pflegeperson auf eine größere Wohnung angewiesen als die Antragsgegnerin. Der Pflegebedarf des Antragstellers übersteigt somit den der Antragsgegnerin. Der Antragsteller hat zudem bereits vor Einzug der Antragsgegnerin in der Wohnung gewohnt und ist in dem Ort, an dem er seit 1987 lebt, sozial verwurzelt. Sein Bruder wohnt ebenfalls im Haus.

Zu berücksichtigen war auch, dass der Antragsteller eine in seiner Nähe wohnende Lebensgefährtin hat. Trotz seiner besseren wirtschaftlichen Verhältnisse ist er damit stärker auf die Nutzung der Ehewohnung angewiesen als die Antragsgegnerin, die insbesondere nicht über vergleichbar intensive Bindungen im Ort verfügt.

Ergänzend war zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Billigkeitsabwägung auch dem schützenswerten Interesse des Antragstellers, im elterlichen Haus wohnen zu bleiben, erhebliches Gewicht zukommt. Der Umstand, dass die Antragsgegnerin an der Finanzierung des Wohnungskaufes beteiligt gewesen war, konnte den höheren sozialen Bezug des Antragstellers zur bewohnten Wohnung nicht mindern. Die Überlassungsfrist war jedoch wegen der erheblichen Schwierigkeiten der Antragsgegnerin, angesichts ihrer körperlichen Einschränkungen angemessenen Ersatzwohnraum zu finden, bis November zu verlängern.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 31.05.2022 09:41
Quelle: OLG Frankfurt a.M. - PM v. 30.5.2022

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