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Aktuell im FamRB

Der Kindergeldüberhang - Zugleich Anm. zu OLG Rostock v. 14.11.2019 – 11 UF 171/19, FamRZ 2020, 839 (LS) (Schürmann, FamRB 2022, 240)

Kindergeld, Kinderzuschlag, Kindergeldüberhang gehören zu den Reizthemen an den Berührungspunkten zwischen Unterhalts- und Sozialrecht, denen sich spätestens beim Unterhaltsregress auch die familienrechtliche Praxis stellen muss. In einem Beschluss aus November 2019 hatte sich das OLG Rostock mit einer weiteren Variante des erweiterten Rückgriffs auf den Kindesunterhalt zu befassen, bei der neben den direkten Leistungen an die Kinder auch noch die Einkommensverteilung nach der Quotenbedarfsmethode und der Kindergeldüberhang in einer Wechselbeziehung standen. Die Problematik ist unverändert aktuell. Daher bietet die sehr instruktive Entscheidung eine gute Gelegenheit, um sich näher mit den Auswirkungen von Unterhaltszahlungen, Kindergeldanrechnung sowie den Folgen für den Regress zu befassen.


I. Einführung
II. Kindergeldüberhang beim Leistungsbezug
III. Kindergeldüberhang beim Unterhaltsregress
IV. Resümee


I. Einführung

Das Kindergeld gehört nach einhelliger Auffassung zum Einkommen des jeweils bezugsberechtigten Elternteils (§ 62 i.V.m. § 32 EStG, §§ 1, 2, 6a BKGG).

Gleichwohl sollte der sog. Kindergeldüberhang im Familienrecht eigentlich keine Rolle mehr spielen – hatte doch das BVerfG 2013 entschieden, der Gesetzgeber habe mit der Unterhaltsreform das Kindergeld bindend dem Einkommen des Kindes zugewiesen und beide Elternteile hätten den auf sie entfallenden Anteil des Kindergelds ausschließlich für den Bedarf des Kindes zu verwenden.

Dass es dennoch anders gekommen ist, beruht auf den besonderen Vorschriften des Sozialrechts. So soll die vorrangige Zurechnung des Kindergelds zum Kindeseinkommen (§ 11 Abs. 1 Satz 5 SGB II) die Abhängigkeit von Sozialgeld oder ALG II möglichst vermeiden. Dies gilt aber nur insoweit, wie das Kindergeld zur Sicherung des sozialrechtlichen Mindestbedarfs benötigt wird. Es handelt sich um eine normative Zuordnung, die sich lediglich auf Regelsatz, Mehrbedarfe sowie anteilige Wohnkosten nebst Heizung (§§ 20–22 SGB II) bezieht, während die ebenfalls zum existenznotwendigen Bedarf gehörenden Leistungen für Bildung und Teilhabe (§ 28 SGB II) nicht durch das Kindergeld abzudecken sind. Verfügt ein Kind über eigenes Einkommen und wird das Kindergeld deshalb gar nicht oder nur in einem geringeren Umfang für den allgemeinen Lebensbedarf benötigt, gehört der freie Teil des Kindergelds weiterhin zum Einkommen des Bezugsberechtigten. Dieser als „Kindergeldüberhang“ bezeichnete Anteil mindert folglich dessen Hilfebedürftigkeit, wodurch nach dem SGB II geringere Leistungen zu erbringen sind.

II. Kindergeldüberhang beim Leistungsbezug
Problematisch sind diese Zusammenhänge dann, wenn in Trennungsfamilien ein hoher Kindesunterhalt gezahlt wird und der betreuende Elternteil über kein oder ein nur geringes Eigeneinkommen verfügt. Es ergeben sich Diskrepanzen, weil weder die Bemessung des kindlichen Bedarfs noch die Zuordnung des Kindergelds zwischen den beiden Rechtsgebieten aufeinander abgestimmt sind. Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG ist nicht einmal die nach § 1612b BGB vorgeschriebene Anrechnung des hälftigen Kindergelds auf den Bedarf zu beachten.

Die Konsequenzen lassen sich besonders anschaulich im Jahr 2015 nachvollziehen, als der Kindesunterhalt zum 1.8. angehoben wurde, während der sozialrechtliche Bedarf für das ganze Jahr unverändert blieb.

Beispiel
Der Vater verfügt über ein anrechenbares Einkommen von 4.500 €. Für seine beiden sieben und fünf Jahre alten Kinder zahlt er Kindesunterhalt von 462 € (554 ./. 92) und 390 € (482 ./. 92). Die Kinder leben bei ihrer Mutter, die das Kindergeld i.H.v. 368 € (184 x 2) bezieht sowie Leistungen nach dem SGB II erhält. Die Wohnkosten betragen 690 € (warm). Ab August 2015 erhöht sich der Unterhalt um insgesamt 35 € auf 480 € (572 ./. 92) und 407 € (499 ./. 92). ...



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.06.2022 10:17
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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