Otto Schmidt Verlag

OLG Hamm v. 29.4.2022 - 1 AGH 43/21

„Online-Scheidungen“ verhindern nicht zwangsläufig die Bezeichnung „Fachanwältin für Familienrecht“

Die Verwendung von Vordrucken und Formularen ist im anwaltlichen und gerichtlichen Geschäftsbetrieb allgemein üblich und bietet sich bei standardisierten Verfahren, wie einvernehmlichen Scheidungen, aus arbeitsökonomischen Gründen an. Es macht auch keinen Unterschied, ob der Bearbeiter einen bestimmten Standardtext immer wieder nach einer Vorlage aus dem Prozesshandbuch diktiert oder ob das Formular durch eine bestimmte Software zur Verfügung gestellt wird.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin betreibt eine Kanzlei, die im Schwerpunkt „Online-Scheidungen“ durchführt. Sie beschäftigt hierzu einen weiteren Rechtsanwalt sowie zwei Büroangestellte. Die Kanzlei versendet online vorbereitete Scheidungsanträge mit Lücken an die Mandanten, die diese vervollständigen. Hieraus werden dann Schriftsätze erstellt, die bei Familiengerichten in ganz Deutschland eingereicht werden. Eine schriftliche Korrespondenz mit der Mandantschaft erfolgt so gut wie nicht. Gerichtstermine werden zum Teil von Kollegen der Klägerin in Untervollmacht wahrgenommen.

Im April 2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Erlaubnis, die Fachanwaltsbezeichnung führen zu dürfen. Sie legte der Beklagten drei Listen über bearbeitete Fälle aus dem Fachgebiet Familienrecht vor. Die erforderlichen theoretischen Kenntnisse wies die Klägerin durch die erfolgreiche Teilnahme an einem Lehrgang „Fachanwalt für Familienrecht“ der A Law School in der Zeit vom 18.5.2019 bis zum 17.11.2019 nach.

Die Beklagte hatte den Antrag abgewiesen. Es gebe eine große Anzahl von Fällen, die das Kriterium der persönlichen und eigenverantwortlichen Bearbeitung durch die Klägerin nicht erfüllten. Es habe nicht festgestellt werden können, dass eine Beratung der Mandanten durch die Klägerin persönlich erfolge. Soweit die Klägerin eine ausschließliche telefonische Beratung der Mandanten behaupte, existierten darüber keine Aktenvermerke, die diesen Vorgang belegen würden. Sie, die Beklagte, habe nicht einmal die Überzeugung gewinnen können, dass die Klägerin die Scheidungsanträge selber fertige.

Das OLG gab der hiergegen gerichteten Verpflichtungsklage statt. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Die Gründe:
Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen zur Führung der Bezeichnung „Fachanwältin für Familienrecht“.

Das erforderliche Fallquorum ist erfüllt. Die Klägerin hat den Nachweis geführt, dass sie während des maßgeblichen Referenzzeitraums im Fachgebiet Familienrecht persönlich und weisungsfrei 120 Fälle, davon mindestens 60 gerichtliche Fälle, bearbeitet hat. Ein Rechtsanwalt, der vorgefertigte Formulare und Vordrucke verwendet, erbringt, anders als der Unterzeichner einer fremden gedanklichen juristischen Leistung, eine eigene anwaltliche Tätigkeit. Eine persönliche anwaltliche Leistung setzt nicht voraus, dass der Bearbeiter persönliche Beratungsgespräche mit dem Mandanten führt, entscheidend ist, dass der Anwalt die Leistung selbst erbringt.

Soweit eine anwaltliche Tätigkeit primär durch die Verwendung und Verarbeitung von Formularen erfolgt, mag sich diese Art der Tätigkeit qualitativ erheblich von individuell erarbeiteten Schriftsätzen unterscheiden, sie bleibt aber dennoch eine persönliche Leistung des Rechtsanwalts. Die Verwendung von Vordrucken und Formularen ist im anwaltlichen und gerichtlichen Geschäftsbetrieb allgemein üblich und bietet sich bei standardisierten Verfahren, wie einvernehmlichen Scheidungen, aus arbeitsökonomischen Gründen an. Es macht auch keinen Unterschied, ob der Bearbeiter einen bestimmten Standardtext immer wieder nach einer Vorlage aus dem Prozesshandbuch diktiert oder ob das Formular durch eine bestimmte Software zur Verfügung gestellt wird.

Die persönlich anwaltliche Leistung besteht in Fällen des formularmäßigen Massengeschäfts darin, zu erkennen und zu entscheiden, ob sich der vorgetragene Fall für eine formularmäßige Bearbeitung eignet, ob der Fomulartext richtig verwendet worden ist oder ob in dem vorgelegten Fall aufgrund von Besonderheiten ein individueller Antrag formuliert werden muss. Dafür, dass das Ausfüllen vorgefertigter Formulare sowohl eine persönliche anwaltliche Leistung ist und diese Leistung fachanwaltsrelevant ist, spricht im Übrigen die Konzeption der FAO selbst. Aus den dargestellten Gründen stellt sich nach Auffassung des Senats auch bei rein formularmäßig abgewickelten Fällen nicht die Frage der persönlichen anwaltlichen Bearbeitung sondern – wie bei Serienfällen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 8.4.2013, AnwZ (Brfg) 54/11) - die Frage der Gewichtung des einzelnen Falls.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.06.2022 16:10
Quelle: Justiz NRW

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