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Die sog. Handschuhehe zwischen absoluter Nichtehe und wirksamer Ehe – Teil 1 (Erbarth, FamRB 2022, 277)

Handschuhehen unter Beteiligung Deutscher im Ausland haben Konjunktur. Hintergrund ist ein wohldurchdachtes Geschäftsmodell, die Sehweise der sog. Aufenthaltsehe tritt hervor. Vermehrt müssen deutsche Gerichte sich mit der rechtlichen Behandlung solcher Ehen befassen. Diese bereitet erhebliche Schwierigkeiten. Auch deshalb ist der insgesamt überzeugende jüngste Reformvorschlag Coester-Waltjens (IPrax 2021, 29 ff.), das Recht am Eheschließungsort statt des Personalstatuts jedes Ehegatten als Eheschließungsstatut einzuführen, beachtenswert, führt er doch zu einer signifikanten Vereinfachung.

A. Einleitung
B. Die Problemlage
C. In Deutschland geschlossene sog. Handschuhehen ohne Auslands

bezug
I. Konstitutive Voraussetzungen des Zustandekommens einer wirksamen Ehe
II. Wirksame aufhebbare Ehe oder absolute Nichtehe?
1. Verletzung des § 1311 Satz 1 Alt. 1 BGB
a) Grundlage
b) Formvorschrift
c) Stellvertretung und Botenschaft ausgeschlossen – Folge des Fehlens dieser Eheschließungsvoraussetzung
2. Fehlender Eheschließungswille i.S.d. § 1310 Abs. 1 Satz 1 BGB?
a) Differenzierung im internationalen Privatrecht zwischen „Stellvertretung in der Erklärung“ und „Stellvertretung im Willen“
b) Übertragung der internationalprivatrechtlichen Differenzierung auf Eheschließungen im Inland?
aa) Eheschließungswille des Vertretenen
(1) Konkreter Eheschließungswille erforderlich
(2) Stellvertretung und vom Eheschließungswillen getragene Eheschließungserklärung
(3) Konsequenzen
bb) Differenzierung zwischen „Stellvertretung in der Erklärung“ und „Stellvertretung im Willen“ abzulehnen
cc) Keine gesetzliche Vertretungsmacht; Art der Vollmacht nicht entscheidend
(1) Gesetzliche Vertretungsmacht
(2) Vollmacht
3. Ergebnis


A. Einleitung
Eheschließung im Wege der sog. Handschuhehe durch offene Stellvertretung findet in Deutschland nicht statt, ist die Forderung des § 1311 Satz 1 Alt. 1 BGB allgemein bekannt: Verlobte müssen ihre jeweilige Eheschließungserklärung vor dem Standesbeamten (nach § 1310 Abs. 1 Satz 1 BGB) persönlich erklären; die Willenserklärungen der Eheschließungswilligen können weder durch einen Boten noch durch einen Stellvertreter, auch nicht durch Brief oder Telekommunikationsmittel, z.B. im Rahmen einer Videokonferenz abgegeben werden.

Historisch hat die Option der Eheschließung durch Mittelspersonen Tradition. Hielt schon Pomponius die Heirat durch Boten oder Stellvertreter (per nuntium) und durch Brief (per literas) für zulässig. Seinem Regelungsansatz entsprechend, das Individuum stärker normativ aufzuwerten, sonach den übereinstimmenden Eheschließungswillen der Nupturienten als tragendes Element hervorzuheben, kannte und kennt das kanonische Recht bis heute (Can. 1104 § 1 Codex juris canonici 1983) – die Eheschließung durch Stellvertreter, aber nicht durch Boten. Bei Schaffung des BGB wurde sie diskutiert, fehlenden praktischen Bedürfnisses wegen jedoch abgelehnt. Völlig fremd indes ist die Eheschließungsform selbst dem jüngeren deutschen Recht nicht, blieb sie nach Inkrafttreten des BGB durch Art. 57 EGBGB 1900 für die damaligen landesherrlichen und ihnen gleichgestellten Familien (so die fürstliche Familie Hohenzollern) durch Stellvertreter erhalten, die § 72 Abs. 2 PStG 1895 enthielt; entfiel das Privileg erst mit der Beseitigung der Autonomie der fürstlichen Häuser durch die Revolution von 1918 bzw. spätestens durch Art. 109 WRV. Erfolgten aufgrund eines „Geheimen Führererlasses“ ab 1941 sog. Stahlhelm-Ehen: Der sich im Krieg befindliche Wehrmachtsangehörige musste seinen Eheschließungswillen zur Niederschrift des Bataillonskommandeurs erklären und die Frau binnen sechs Monaten ebenfalls ihren Eheschließungswillen vor dem heimischen Standesamt erklären; auf den Platz des Bräutigams wurde ein Stahlhelm gelegt. Das am 7.10.1969 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getretene UN-Eheschließungsübereinkommen vom 10.12.1962 lässt die Handschuhehe ausdrücklich zu.

Rechtsvergleichend ist die Eheschließung in Form der sog. Handschuhehe dahingegen verbreitet, islamisch geprägte Rechtsordnungen aber auch viele lateinamerikanische Rechtsordnungen kennen sie, selbst europäische Rechtsordnungen sehen bzw. sahen sie vor, auch als „doppelte Handschuhehe“. Vornehmlich in dem mexikanischen Bundesstaat Baja California Sur unter Beteiligung eines deutschen Ehegatten geschlossene derartige Ehen zwischen Personen verschiedenen Geschlechts beschäftigen deutsche Familien - und Verwaltungsgerichte aktuell, der Aspekt der sog. Aufenthaltsehe tritt in den Vordergrund; die Entscheidung des VG Düsseldorf v. 15.2.2022 erhöht die Attraktivität der Handschuhehe erheblich, sieht das Gericht eine im Rahmen einer Videokonferenz nach ausländischem Recht geschlossene Ehe in Deutschland als unwirksame absolute Nichtehe an, wenn sich die Verlobten bei der Eheschließung in Deutschland aufhalten. Schwierigkeiten bereitet die rechtliche Einordnung der Ehe als absolute Nichtehe, als wirksame, möglicherweise aufhebbare Ehe oder als wirksame, auch formell ordnungsgemäß zustande gekommene und deswegen nicht aufhebbare Ehe. Entscheidungen der Gerichte divergieren, erhebliche Unsicherheiten in der Praxis sind die Folge.

B. Die Problemlage
Um die rechtlichen Folgen einer Eheschließung durch Boten oder Stellvertreter ermitteln zu können, muss untersucht werden, welche Eheschließungsvoraussetzungen genau bei einer Handschuhehe betroffen sind sowie welche Rechtsfolge das Fehlen einer solchen Voraussetzung exakt hat, kommt dies in Rechtsprechung und Literatur häufig nicht deutlich genug zum Ausdruck.

Zunächst wird die Rechtslage einer Eheschließung durch Stellvertreter oder Boten etc. in Deutschland ohne Auslandsbezug dargestellt (unter C. II. 1., 2.), ist eine solche im Wege offener Stellvertretung ein zwar nur noch theoretischer Fall, im Wege sog. verhüllter und verdeckter Stellvertretung sowie beim Handeln unter fremdem oder falschem Namen aber durchaus praktisch möglich. Vor allem dient ihre Betrachtung als unverzichtbare Grundlage der Analyse der Rechtslage im Ausland zwischen Personen verschiedenen Geschlechts geschlossener sog. Handschuhehen mit Inlandsbezug, ist die genaue Kenntnis des deutschen Rechts nicht nur bei Heranziehung der sog. funktionellen Qualifikationsmethode im internationalen Privatrecht zwingend erforderlich; mehr noch ist das exakte Wissen um die Rechtslage durch einen Vertreter in Deutschland geschlossener Ehen über die Qualifikation hinaus, ob nur die Form der Eheschließung und Vollmacht (Art. 11 Abs. 1, Abs. 3, Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB), oder ob eine materielle Eheschließungsvoraussetzung i.S.v. Art. 13 Abs. 1 EGBGB und ggf. eine materielle Voraussetzung der Vollmacht i.S.v. Art. 8 Abs. 1, Abs. 5 EGBGB infrage stehen (unter D.), vornehmlich wegen der rechtlichen Folgen besonders bedeutsam und zwar nicht allein wegen des anzuwendenden materiellen Rechts: Ein favor matrimonii findet sich nur hinsichtlich der Form in Art. 11 EGBGB, nur die Form soll zugunsten der Ehegültigkeit alternativ angeknüpft werden. Dagegen gilt in Art. 13 Abs. 1, Abs. 3 EGBGB der Grundsatz des ärgeren Rechts; es werden unwirksame Ehen bewusst in Kauf genommen, um keinem der Heimatrechte der Eheschließungswilligen eine ungewollte Ehe aufzuzwingen. Die Probleme stellen sich nur bei Ehen zwischen Personen verschiedenen Geschlechts, nicht hingegen zwischen Personen gleichen Geschlechts, ist entsprechend Art. 17 Abs. 1 EGBGB, Art. 17 Abs. 4 Satz 1 EGBGB in formeller als auch in materieller Hinsicht das Recht des Register führenden Staates maßgeblich; die hier zu besprechenden Qualifikationsprobleme treten deshalb nicht auf.

C. In Deutschland geschlossene sog. Handschuhehen ohne Auslandsbezug

I. Konstitutive Voraussetzungen des Zustandekommens einer wirksamen Ehe

Die Eheschließung ist ein Vertrag, der von Muscheler treffend so genannter Eheschließungsvertrag. Trotz der im Hinblick auf die Statusklarheit großen Bedeutung der Förmlichkeiten der Eheschließung ist – dem Konzept des kanonischen Eheschließungsrechts entsprechend – „Herz“ des Eheschließungsakts der übereinstimmende Eheschließungswille der Verlobten. In Abkehr von § 52 PStG 1875 und vom deutschen evangelischen Kirchenrecht, das dem trauenden Geistlichen die eigentlich ehebegründende Erklärung zuwies, hatte bereits das BGB von 1900 in Übereinstimmung sowohl mit dem kanonischen Recht als auch mit der französischen Gesetzgebung den Übergang zum...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 02.08.2022 13:50
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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