Otto Schmidt Verlag

OLG Oldenburg v. 4.8.2022 - 11 UF 76/22

Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung stellt auszugleichendes Anrecht dar

Bei dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung handelt es sich um ein gem. § 2 Abs. 1 und 2 VersAusglG auszugleichendes Anrecht. Bezieht die ausgleichspflichtige Person noch keine Rente, ist der Grundrentenzuschlag in der Regel noch nicht hinreichend verfestigt (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG).

Der Sachverhalt:
Die Ehe der Antragstellerin und des Antragstellers ist seit März 2022 geschieden. Gleichzeitig wurde der Versorgungsausgleich durchgeführt. Dabei hat das Familiengericht u.a. auch Anrechte der Antragstellerin und des Antragsgegners bei der Deutschen Rentenversicherung im Wege der internen Teilung zum Ausgleich gebracht.

Die Antragstellerin hat während der gesetzlichen Ehezeit von 2003 bis 2021 in der allgemeinen Rentenversicherung 10,0015 Entgeltpunkte erwirtschaftet. Die Beschwerdeführerin hatte einen Ausgleichswert von 5,0008 Entgeltpunkten vorgeschlagen, der einem korrespondierenden Kapitalwert von 38.639,31 € entsprach. Dieses Anrecht hat das Familiengericht in der angefochtenen Entscheidung zum Ausgleich gebracht.

Außerdem hat die Antragstellerin während der gesetzlichen Ehezeit ausweislich der erstinstanzlich erteilten Auskunft der Beschwerdeführerin vom 14.2.2022 in der allgemeinen Rentenversicherung einen Zuschlag für langjährige Versicherung von 2,0659 Entgeltpunkten erwirtschaftet. Die Beschwerdeführerin hatte einen Ausgleichswert von 1,0330 Entgeltpunkten vorgeschlagen, der einem korrespondierenden Kapitalwert von 7.981,60 € entspricht. Für dieses Anrecht hat das Familiengericht keine Entscheidung getroffen.

Die Beschwerdeführerin war der Ansicht, dass das Familiengericht die seitens der Antragstellerin während der Ehezeit erwirtschafteten Anrechte in Form des Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung nicht zum Ausgleich gebracht habe. Es seien nicht nur 5,008 Entgeltpunkte, sondern zudem 1,0330 Entgeltpunkten für langjährige Versicherung auszugleichen.

Das OLG hielt die Beschwerde zum Teil für begründet. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.

Die Gründe:
Bei dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung handelt es sich um ein gem. § 2 Abs. 1 und 2 VersAusglG auszugleichendes Anrecht. Das Anrecht wurde durch Arbeit geschaffen und dient der Absicherung im Alter. Es ist - sofern es im Rahmen der wirtschaftlichen Überprüfung zu keiner Anrechnung von eigenem Einkommen oder das des Ehegatten kommt (§ 97a SGB VI) - auf eine Rente gerichtet.

Zwar sind solche Entgeltpunkte weder durch Beiträge des Versicherten noch eines Dritten beitragsfinanziert. Die Grundrente ist nämlich steuerfinanziert. Ihre Finanzierungskosten sollen vollständig über einen erhöhten Bundeszuschuss getragen werden. Ziel der Grundrente ist die Anerkennung der Lebensleistung von Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben. Die Anerkennung dieser seitens der Versicherten erbrachten Lebensleistung ist als Rentenzuschlag konzipiert. Die Grundrente soll einen Beitrag gegen die Altersarmut darstellen. Der Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherte unterliegt einer besonderen Einkommensanrechnung (§ 97a SGB VI), die dazu führen kann, dass sich ein geringerer oder kein Zahlbetrag ergibt. Damit stellt die Grundrente ihrem Kern nach eine im Versorgungsausgleich systemfremde Fürsorgeleistung des Staates dar.

Die Entgeltpunkte für langjährig Versicherte sind gesondert auszugleichen. Es handelt sich um eine besondere Entgeltpunkteart, die der Anrechnung von bestimmtem eigenen Einkommen des Versicherten und dessen Ehegatten unterliegt. Gem. § 120f II Nr. 3 SGB VI dürfen diese Entgeltpunkte daher nicht mit den übrigen Entgeltpunktearten verrechnet werden. Erzielt allerdings die ausgleichspflichtige Person - wie hier - aus dieser Entgeltpunkteart noch keine Rente, so scheidet ein Ausgleich dieser Entgeltpunkte für langjährig Versicherte im Wege des Wertausgleichs bei der Scheidung (§ 10 VersAusglG) regelmäßig aus, da ein solches Anrecht zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Durchführung des Versorgungsausgleichs noch nicht ausgleichsreif ist (§ 19 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG).

Dem liegt zugrunde, dass der Grundrentenzuschlag der Antragstellerin noch nicht hinreichend verfestigt ist (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG). Nicht hinreichend verfestigt sind Anrechte, wenn der Bestand des Anrechts dem Grund oder der Höhe nach noch nicht feststeht, weil der Erwerbsvorgang entweder noch nicht abgeschlossen ist oder das Anrecht in seinem Bestand noch wegfallen kann.

Die Rechtsbeschwerde war nach § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG zuzulassen, weil die vorliegende Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Beantwortung der Fragen, ob der Grundrentenzuschlag aufgrund seiner sozialrechtlichen Komponente überhaupt dem Versorgungsausgleich unterfällt und ein solches Anrecht im Anwartschaftsstadium hinreichend verfestigt ist, betrifft eine Vielzahl von Fällen und bedarf einer höchstrichterlichen Klärung.

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Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der Datenbank Otto Schmidt online.

Aufsatz:
Siede - Empfehlungen zur externen Teilung von Anrechten der betrieblichen Altersversorgung (FamRB 2022, 116)

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 29.08.2022 15:36
Quelle: Niedersächsisches Landesjustizporta

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