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Vereinfachte Bewertung des Wohnvorteils im Rahmen der Unterhaltsbemessung (Spangenberg, FamRB 2022, 317)

Wie bewertet man den Wohnanteil im Rahmen der Unterhaltsbemessung, insbesondere bei selbstgenutzten Immobilien oder im Rahmen des Wechselmodells? Die Antwort hierauf bereitet der Rechtspraxis unnötige Schwierigkeiten, wie der Verfasser in seinem Beitrag darlegt.

1. Kritik
a) Methodische Ungereimtheit
b) Praktische Erschwernisse
c) Die Gerechtigkeitslücke
2. Lösung: Pauschalierung des Wohnvorteils
3. Einzelfragen

a) Einbeziehung von Schulden
b) Unterschiedliche Eigentumsverhältnisse
c) Wohnvorteil bei Doppelverdiener Ehe
d) Wohnvorteil und Wechselbetreuung
e) Verwertung des Eigentums
f) Wohnvorteil einer Mietwohnung
4. Ergebnis


1. Kritik
Wer in einer eigenen Wohnung lebt, genießt gegenüber demjenigen, der für eine Mietwohnung zu zahlen hat, einen Wohnvorteil. Die Art, wie die Praxis der Unterhaltsbemessung diesen Wohnvorteil bewertet, ist angreifbar, und zwar:

a) Methodische Ungereimtheit
Bei der Unterhaltsbemessung geht es grundsätzlich um den Gesamtunterhaltsanspruch eines Berechtigten. Dessen Sache ist es, wie er seine Mittel auf die einzelnen Bedarfspositionen verteilt. Das gilt auch für den Wohnbedarf. Ob ein Berechtigter sich beim Wohnen auf das Notwendigste bescheidet oder ob er mehr Komfort benötigt, entscheidet er für sich, ohne dass sich am Gesamtbedarf etwas ändert. Obwohl dem Wohnungsbedarf als unselbständigem Bestandteil des Unterhalts bei der Unterhaltsbemessung daher grundsätzlich keine eigene Bedeutung zukommen sollte, häufen sich die Entscheidungen, die Wohnbedarf und Wohnwert gesondert festlegen. Im Rahmen des Ehegattenunterhalts wird bei einer selbstgenutzten Immobilie sogar mit zwei Wohnwerten gerechnet. Regelmäßig wird vom objektiven Wohnwert ausgegangen, der dem Mietwert entspricht. Wird bei der Einsetzung des objektiven Mietwerts ein unverhältnismäßig hoher Anteil des Gesamtunterhalts zur Deckung des Wohnbedarfs aufgebraucht, so wird der subjektive Wohnwert zugrunde gelegt. Er entspricht der ersparten Miete, also dem Betrag, den die Beteiligten vernünftigerweise für Miete aufbringen würden.

b) Praktische Erschwernisse
Während es der Rechtsprechung durch die Unterhaltsrichtlinien weitgehend gelungen ist, die Unterhaltsbemessung zu vereinheitlichen und zu vereinfachen, schafft sie mit dem objektiven und dem subjektiven Wohnbedarf Kriterien, die ein beträchtliches Konfliktpotential mit sich bringen. Die Schwierigkeiten bei der Ermittlung des objektiven Mietwerts einer Immobilie beginnen bereits in dem denkbar einfachen Fall einer Eigentumswohnung in einem Hochhaus. Dort besteht zwischen den für die einzelnen Wohnungen gezahlten Mieten ein deutliches Gefälle. Um zu entscheiden, welche Wohnung überteuert, welche unter Wert vermietet und welches die marktgerechte Miete ist, bedarf es weiterer Informationen. Um ein Vielfaches schwieriger ist es, den Mietwert eines Hauses zu beurteilen, für das kein Vergleichsobjekt existiert. Vielfach wird es an ausreichenden Anhaltspunkten für eine Schätzung des Mietwerts gem. § 287 ZPO fehlen, so dass man einen Sachverständigen braucht. Nicht einmal der subjektive Mietwert ist ohne weiteres bestimmbar. Es fehlt an einer allgemein anerkannten Formel für die Berechnung, weil es von den individuellen Bedürfnissen des Einzelnen abhängt, welchen Anteil seiner Einkünfte er für das Wohnen aufwendet. Folgerichtig hat die Rechtsprechung den Versuch einer Pauschalierung des Wohnvorteils durch die sog. Drittelobergrenze verworfen.

c) Die Gerechtigkeitslücke
Bei diesen Schwierigkeiten werden viele Unterhaltsberechtigte keinen anderen Weg sehen, als den maßgeblichen subjektiven oder objektiven Wohnwert auszuhandeln. Dabei befinden sie sich oft in der unterlegenen Position, weil sie durch die Rücksichtnahme auf von ihnen betreuten Kinder nicht frei in ihrer Entscheidung sind. Es ist jedenfalls nicht lebensfern, dass ein unterhaltspflichtiger Hauseigentümer diese Situation ausnutzt und einen überhöhten Wohnwert durchsetzt. Leidtragende sind nicht zuletzt die Kinder, die es mitzutragen haben, wenn der sie betreuende Elternteil sich gezwungen sieht, einen überhöhten Anteil des Unterhalts zur Deckung des Wohnbedarfs einzusetzen, um in der seitherigen Wohnung bleiben zu können.

Die Interessen von unterhaltsberechtigten Kindern werden bereits verletzt, wenn Eltern ihren Unterhalt durch Schaffung eines Eigenheims kürzen. Es ist deshalb zu begrüßen, dass die Rechtsprechung den Wohnbedarf von Kindern inzwischen pauschaliert, wenn andernfalls der kindliche Mindestunterhalt gefährdet ist.

2. Lösung: Pauschalierung des Wohnvorteils
Aus den Schwächen der individuellen Bewertung des Wohnvorteils ergibt sich das Ziel: eine Integrierung des Wohnbedarfs in den Gesamtbedarf eines Unterhaltsberechtigten. Für die Bewertung von Wohnraum sollte der gleiche Maßstab gelten unabhängig davon, ob er sich in einer gemieteten oder einer eigenen Wohnung befindet.

Es geht darum, eine realistische Pauschale für den Wohnvorteil festzulegen. In diesem Zusammenhang ist nochmals darauf hinzuweisen, „dass gerade im Unterhaltsrecht eine Pauschalierung aus Gründen der Praktikabilität dringend erforderlich ist“. Praktikable Pauschalen finden sich in den Unterhaltsleitlinien. Für den Kindesunterhalt beträgt die Wohnpauschale danach allerdings nur...


Hinweis der Redaktion:
Bei Veröffentlichung des Beitrags lag die Entscheidung des BGH v. 18.5.2022 - XII ZB 325/20 noch nicht vor. Der Verfasser hat die neue BGH-Entscheidung zum Anlass genommen, seinen Beitrag um eine kritische Anmerkung zu ergänzen:

Vereinfachte Bewertung des Wohnvorteils im Rahmen der Unterhaltsbemessung – ergänzende Anm. zu BGH v. 18.5.2022 – XII ZB 325/20 (Spangenberg, FamRB 2022, 369)
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.08.2022 11:59
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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