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BGH v. 24.8.2022 - XII ZB 268/19

Beschwerde gegen Entscheidung über Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Unterhaltstitels

Wird gegen die erstinstanzliche Entscheidung über einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Unterhaltstitels Beschwerde eingelegt, hindern die Bestimmungen des HUÜ 2007 das Beschwerdegericht nicht daran, die Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsstaat im Einzelfall auch ohne Beibringung des von Art. 25 Abs. 1 lit. b HUÜ 2007 geforderten formalen Nachweises festzustellen. Nach § 293 ZPO hat der Tatrichter ausländisches Recht, das für die Entscheidung eines Rechtsstreits maßgebend ist, von Amts wegen zu ermitteln. Da ausländische Rechtsnormen Rechtssätze und keine Tatsachen sind, finden insoweit die Grundsätze über die Darlegungs- und Beweislast keine Anwendung.

Der Sachverhalt:
Die Rechtsbeschwerde betrifft die Vollstreckbarerklärung einer von einem Gericht im US-Bundesstaat Oregon erlassenen Entscheidung über nachehelichen Unterhalt. Die Beteiligten lebten während ihrer Ehe gemeinsam in Oregon. Mit Urteil des Bezirksgerichts des Bundesstaats Oregon im und für den Bezirk Washington vom 26.9.2014 wurde die Ehe der Beteiligten geschieden und der Antragsgegner zur Zahlung eines mtl. nachehelichen Unterhalts i.H.v. 4.000 US$ für einen Zeitraum von vier Jahren, danach unbefristet i.H.v. 3.000 US$, verpflichtet. Nach der Scheidung verzog der Antragsgegner nach Deutschland. Die Antragstellerin verblieb in Oregon und heiratete im Januar 2018 erneut.

Das AG gab mit Beschluss vom 10.9.2018 dem Antrag der Antragstellerin auf Vollstreckbarerklärung des Urteils vom 26.9.2014 hinsichtlich des Unterhalts für einen Zeitraum ab Mai 2018 statt. Auf Antrag des Antragsgegners setzte das Bezirksgericht mit rechtskräftigem Urteil vom 2.10.2018 den mtl. zu zahlenden Unterhalt für die Zeit ab Mai 2018 auf 2.200 US$ herab. Auf die gegen die amtsgerichtliche Vollstreckbarerklärung gerichtete, im Wesentlichen auf die zwischenzeitliche Abänderung gestützte Beschwerde des Antragsgegners änderte die Antragstellerin ihre Anträge im Beschwerdeverfahren dahin, dass das Urteil vom 26.9.2014 für den Zeitraum ab Mai 2018 i.H.v. nur noch 2.200 US$, hilfsweise das Urteil vom 2.10.2018 für vollstreckbar erklärt wird. Das OLG wies die Anträge ab. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Rechtsbeschwerde, mit der sie nur noch die Vollstreckbarerklärung der Entscheidung vom 2.10.2018 erstrebt.

Der BGH hob den Beschluss des OLG auf, soweit der Hilfsantrag abgewiesen worden ist, und verwies die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Behandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Eine Vollstreckbarerklärung des Urteils vom 2.10.2018 kann nicht mit der vom OLG gegebenen Begründung versagt werden.

Die Vollstreckbarerklärung dieser Entscheidung richtet sich nach Art. 19 ff. des Haager Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23.11.2007 (Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 - HUÜ 2007), welches im Verhältnis zwischen der EU und den USA seit 1.1.2017 in Kraft ist. Die Rechtsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Beschwerdegericht die Voraussetzungen einer Vollstreckbarerklärung rechtsfehlerhaft verneint hat. Im Anwendungsbereich des HUÜ 2007 setzt die Vollstreckung einer in einem anderen Vertragsstaat ergangenen Entscheidung ein Verfahren der Vollstreckbarerklärung (Exequatur) voraus, das sich für Deutschland nach Art. 23 HUÜ 2007 richtet. Gem. Art. 20 Abs. 6 HUÜ 2007 wird eine Entscheidung nur dann anerkannt, wenn sie im Ursprungsstaat wirksam ist, und nur dann vollstreckt, wenn sie im Ursprungsstaat vollstreckbar ist. Einem Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung sind der vollständige Wortlaut der Entscheidung und ein Schriftstück mit dem Nachweis der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat beizufügen (Art. 25 Abs. 1 lit. a und b HUÜ 2007).

Wird gegen die erstinstanzliche Entscheidung über einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Unterhaltstitels Beschwerde eingelegt, hindern die Bestimmungen des HUÜ 2007 das Beschwerdegericht nicht daran, die Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsstaat im Einzelfall auch ohne Beibringung des von Art. 25 Abs. 1 lit. b HUÜ 2007 geforderten formalen Nachweises festzustellen. Für ein solches Verständnis spricht bereits eine systematische Betrachtung des im HUÜ 2007 teilweise geregelten Rechtsbehelfsverfahrens; der mit dem HUÜ 2007 verfolgte Zweck und die Rechtsprechung des BGH stützen diese Annahme.

Die vom HUÜ 2007 offen gelassene Frage, auf welche Weise die tatsächlichen Voraussetzungen einer Vollstreckbarerklärung im Rechtsmittelzug festzustellen sind, sofern kein Nachweis nach Art. 25 Abs. 1 lit. b HUÜ 2007 beigebracht wird, ist gem. Art. 23 Abs. 1 HUÜ 2007 maßgeblich unter Rückgriff auf das nationale Verfahrensrecht zu beantworten. Das vereinfachte Klauselerteilungsverfahren nach dem Auslandsunterhaltsgesetz ist kraft verfahrensrechtlichen Zusammenhangs Unterhaltssache und damit Familienstreitsache. Während das Gericht im erstinstanzlichen Verfahren gem. § 58 AUG in der Regel ohne Anhörung des Antragsgegners entscheidet, ist das Verfahren ab dem Beschwerderechtszug kontradiktorisch ausgestaltet. Das Rechtsbehelfsgericht darf grundsätzlich all diejenigen Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung prüfen, die schon die erste Instanz hätte prüfen dürfen. Mangels entgegenstehender Regelungen richtet sich die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen gem. §§ 2 AUG, 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG nach den Vorschriften der ZPO. Danach trifft das Gericht die erforderlichen Feststellungen nach freier Überzeugung (§ 286 Abs. 1 ZPO).

Dass auch nach der Konzeption des in den §§ 36 ff., 57 AUG geregelten Klauselerteilungsverfahrens grundsätzlich kein Hindernis besteht, im Beschwerdeverfahren die Voraussetzung der Vollstreckbarkeit im Einzelfall unter Verzicht auf eine vom Ursprungsgericht ausgestellte Bescheinigung i.S.d. Art. 25 Abs. 1 lit. b HUÜ 2007 festzustellen, wird durch die Regelung des § 39 AUG verdeutlicht. Kann der Nachweis für die in § 39 Abs. 1 Satz 1 AUG bezeichneten besonderen Voraussetzungen durch Urkunden nicht geführt werden, stehen dem Antragsteller gem. § 39 Abs. 2 Satz 2 AUG alle Beweismittel offen. Durch diese Regelung soll bereits im Verfahren erster Instanz eine Antragsablehnung für den Fall vermieden werden, dass der Gläubiger einen Urkundennachweis nicht erbringen kann. Erst recht muss dieser Weg in der hier vorliegenden Fallgestaltung eröffnet sein; der Gesetzgeber hat ein möglichst einfaches und formloses Beschwerdeverfahren bezweckt. Nach § 293 ZPO hat der Tatrichter ausländisches Recht, das für die Entscheidung eines Rechtsstreits maßgebend ist, von Amts wegen zu ermitteln. Da ausländische Rechtsnormen Rechtssätze und keine Tatsachen sind, finden insoweit die Grundsätze über die Darlegungs- und Beweislast keine Anwendung.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Unterstützungsmöglichkeiten des Bundesamts für Justiz im internationalen Familienrecht
Stefan Schlauß, FamRB 2022, 370

Rechtsprechung
Anerkennung ausländischer Unterhaltsentscheidung nach HUÜ 2007; Wahrung der Verteidigungsrechte
BGH vom 26.01.2022 - XII ZB 280/20
Martin Streicher, FamRB 2022, 174

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.09.2022 11:13
Quelle: BGH online

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