Otto Schmidt Verlag

BGH v. 28.6.2023 - XII ZB 81/23

Grundrenten-Entgeltpunkte: Ausgleich bei Bezug von Vollrente durch den ausgleichsberechtigten Ehegatten

Entgeltpunkte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sog. Grundrenten-Entgeltpunkte) sind im Wertausgleich bei der Scheidung regelmäßig auch dann ausgleichsreif, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte bereits eine Vollrente wegen Alters bezieht und es nach seinen aktuellen Verhältnissen zu einer Einkommensanrechnung nach § 97 a SGB VI käme.

Der Sachverhalt:
Auf den am 25.9.2020 zugestellten Antrag hat das AG - Familiengericht - die 1974 geschlossene Ehe des Antragstellers (Ehemann) und der Antragsgegnerin (Ehefrau) geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. Während der Ehezeit (Juli 1974 bis August 2020) erwarb der Ehemann 49,5775 Entgeltpunkte mit einem Ausgleichswert von 24,7888 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von rd. 187.000 € in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie 107,89 Versorgungspunkte mit einem Ausgleichswert von 49,61 Versorgungspunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von rd. 30.000 € in der Ruhegehalts- und Zusatzversorgungskasse Saarland. Die Ehefrau erwarb 22,1883 Entgeltpunkte mit einem Ausgleichswert von 11,0942 Entgeltpunkten bei einem korrespondierenden Kapitalwert von rd. 84.000 € in der gesetzlichen Rentenversicherung. Zusätzlich erwarb sie in der gesetzlichen Rentenversicherung einen Zuschlag von 5,8481 Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sog. Grundrenten-Entgeltpunkte) mit einem Ausgleichswert von 2,9241 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von rd. 22.000 €. Beide Ehegatten beziehen bereits eine Vollrente wegen Alters.

Das AG teilte die Anrechte jeweils intern mit Ausnahme des Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung, zu dessen Ausgleich sich die Entscheidung nicht verhält. Auf die Beschwerde des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung (Beteiligte zu 1) der Ehefrau ordnete das OLG ergänzend an, dass ein Wertausgleich bei der Scheidung hinsichtlich des von der Ehefrau erworbenen Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung nicht stattfinde. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1) hatte teilweise Erfolg.

Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des OLG erfüllt der Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung grundsätzlich die Voraussetzungen der Ausgleichsreife i.S.v. § 19 Abs. 1 und 2 VersAusglG. Zu Unrecht hat das OLG angenommen, der Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung sei gem. § 19 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG deshalb nicht ausgleichsreif, weil sein Ausgleich im konkreten Fall für die ausgleichsberechtigte Person unwirtschaftlich wäre.

Unwirtschaftlichkeit im Sinne dieser Bestimmung setzt voraus, dass sich der Ausgleich voraussichtlich nicht zugunsten der ausgleichsberechtigten Person auswirken wird, was etwa dann der Fall ist, wenn der Ausgleichsberechtigte eine erforderliche Wartezeit nicht mehr erfüllen kann. Im Unterschied hierzu kann jedoch grundsätzlich nicht bereits im Versorgungsausgleichsverfahren festgestellt werden, dass die nach § 97 a SGB VI vorgesehene Einkommensanrechnung zu einer Unwirtschaftlichkeit des Ausgleichs insoweit führt. Denn selbst wenn es nach den aktuellen Verhältnissen des Ehemanns zu einer Einkommensanrechnung käme, kann sich dies jährlich ändern.

Anzurechnendes Einkommen im Leistungsbezug ist gem. § 97 a Abs. 2 Nr. 1 SGB VI namentlich das zu versteuernde Einkommen nach § 2 Abs. 5 EStG. Darunter ist das Einkommen zu verstehen, vermindert um die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und um die sonstigen vom Einkommen abzuziehenden Beträge. Einkommen ist der Gesamtbetrag der der Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte, vermindert um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen (§ 2 Abs. 4 EStG). Bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens werden somit vom Gesamtbetrag der Einkünfte Sonderausgaben wie etwa Vorsorgeaufwendungen, individuelle Freibeträge und außergewöhnliche Belastungen abgezogen. Da sich Art und Höhe der zu berücksichtigenden Abzüge wie etwa hinzutretende Pflegekosten als außergewöhnliche Belastung (§ 33 EStG) oder Pauschbeträge für Menschen mit Behinderungen (§ 33 b EStG) jährlich ändern können, bieten die vom OLG allein anhand von errechneten Versorgungsbezügen angestellten Erwägungen keine ausreichende Anknüpfung für die Ermittlung eines (dauerhaft) anzurechnenden Einkommens und somit für die Annahme, der Ausgleich werde sich dauerhaft nicht zugunsten der ausgleichsberechtigten Person auswirken.

In so gelagerten Fällen begegnet die Durchführung der Teilung auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar kann die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Versorgungsausgleichs entfallen, wenn bei dem Ausgleichspflichtigen eine Anrechtskürzung erfolgt, ohne dass sich dies entsprechend im Erwerb eines selbständigen Anrechts für den Ausgleichsberechtigten auswirkt, und somit der Ausgleichspflichtige ein Opfer erbringt, das im Ergebnis seinen Zweck verfehlt. Eine endgültige Zweckverfehlung kann indessen nicht angenommen werden, solange nicht feststeht, dass der Ausgleichsberechtigte infolge von Einkommensanrechnung dauerhaft keinen Rentenanteil aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung erlangen kann. Zudem würde bei fortbestehender Ehe auf den Rentenanteil des Versorgungsberechtigten aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung nicht nur sein eigenes Einkommen, sondern auch das seines Ehegatten angerechnet (§ 97 a Abs. 1 und Abs. 4 Satz 4 SGB VI).

Von dem sonach bereits bei der Scheidung durchzuführenden Ausgleich ist auch nicht wegen Geringfügigkeit abzusehen. Die Beurteilung dieser Frage richtet sich nach § 18 Abs. 2 VersAusglG, da der Ehemann während der Ehezeit kein gleichartiges Anrecht, nämlich keine Entgeltpunkte aus einem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung, erworben hat. Der vom Versorgungsträger hinsichtlich des Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung angegebene, mit dem Ausgleichswert korrespondierende Kapitalwert liegt deutlich über der bei Ehezeitende geltenden Bagatellgrenze (§ 18 Abs. 3 VersAusglG), so dass nicht wegen Geringfügigkeit von einem Ausgleich der Anrechte abgesehen werden kann.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | VersAusglG
§ 19 Fehlende Ausgleichsreife
Norpoth/Sasse in Erman, BGB, 16./17. Aufl. 2020/2023
9/2020

Rechtsprechung:
§§ 2 I, II, 19 I, II VersAusglG, 76g, 109 VI SGBVI: Ausgleich von Grundrenten-Entgeltpunkten [m. Beitrag Bachmann/Borth, S. 750]
BGH vom 01.03.2023 - XII ZB 360/22
FamRZ 2023, 761

Nachzulesen im Aktionsmodul Familienrecht:
Online-Unterhaltsrechner mit jeweils den aktuellen Werten der Düsseldorfer Tabelle. Top Inhalte online: FamRZ und FamRZ-Buchreihe von Gieseking, FamRB von Otto Schmidt, „Gerhardt“ von Wolters Kluwer und vielen Standardwerken. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO: Für Fachanwälte mit Beiträgen zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!

 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.08.2023 12:58
Quelle: BGH online

zurück zur vorherigen Seite